8. August 2021 / Aus aller Welt

Bodentiere im Klimawandel: Abtauchen, ausharren, ausbreiten

Sie leben im Untergrund und haben Schutzmechanismen ausgeprägt. Doch auch Bodentiere müssen mit dem Klimawandel zurechtkommen. Am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz wird hierzu geforscht.

Ein Mitarbeiter betrachtet im Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz eine ausgestellte Bodensäule.
von Jörg Schurig, dpa

Bärtierchen sind Überlebenskünstler. Nicht nur, dass einige Arten sogar im Weltraum überleben und bei Bedarf ihre eigene DNA reparieren können. Wenn es trocken wird, wechseln sie in ein «Tönnchenstadium».

«Dort können sie Jahre ausharren, bis es wieder feucht ist», sagt die Biologin Ricarda Lehmitz vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz. Allerdings seien vielen Bodentieren auch Grenzen gesetzt - etwa bei extremer Dürre. «Sie können nicht so ohne Weiteres ihren Lebensraum verlassen. Das hängt sehr von den einzelnen Arten ab. Manche sind sehr empfindlich und sterben schnell, andere können länger aushalten.»

Bodentiere «durch Klimawandel eher gestärkt»

So taucht ein Regenwurm in Trockenzeiten in tiefere und feuchtere Erdschichten ab. «Er rollt sich ein, kleidet seine Höhle mit Schleim aus und kann so ein paar Monate überleben», berichtet die Forscherin. Andere Bodentiere würden das Überleben der Art sichern, indem zumindest ihre Eier Extremlagen überdauern. «Der Klimawandel ist ein relevantes Thema für uns», sagt Lehmitz und verweist auf verschiedene Forschungsvorhaben. Einen generellen Trend habe die Wissenschaft schon ausgemacht. «Generalisten - also Bodentiere, die sich in verschiedenen Lebensräumen wohlfühlen - werden durch Klimawandel eher gestärkt. Spezialisten haben es schwer.»

Dabei hängt das Überleben oft von den Umgebungsbedingungen ab: «Existiert beispielsweise in Flussauen links und rechts vom Gewässer noch ein intakter Wald, haben Bodentiere bei Hochwasser oder anderen Extremwetterlagen eine Rückzugsmöglichkeit. Wenn sie aber von allen Seiten zum Beispiel durch bis an den Gewässerrand reichende Felder oder durch Kanalisierung der Flüsse bedrängt werden, können sie schlechter auf den Klimawandel reagieren», erklärt die Forscherin und wirbt für die Winzlinge. Unlängst hat das Görlitzer Senckenberg Museum eine Bestimmungs-App für Bodentiere herausgebracht. Mit der App «Bodentier hoch 4» lassen sich 260 heimische Doppelfüßer, Hundertfüßer und Landasseln per Tablet oder Smartphone ermitteln.

«Im Boden vielfältiges Leben»

«Wer beim letzten Waldspaziergang keine Tiere gesehen hat, hat nicht genau hingeschaut: Denn unter unseren Füßen, im und auf dem Boden, wimmelt es nur so von Lebewesen. Auf einem Quadratmeter Boden leben sogar mehr Organismen als Menschen auf der Welt», heißt es in der Mitteilung zur App. Mit ihr kann man selbst zum Forscher werden. Denn die gewonnenen Daten sollen für Experten weltweit nutzbar sein. Nutzer können die kleinen Tiere bestimmen, fotografieren und der in Görlitz entwickelten Forschungsdatenbank «Edaphobase» melden. «Wir möchten die Bürger dafür sensibilisieren, dass es auch im Boden vielfältiges Leben gibt», betont Lehmitz.

Der Görlitzer Senckenberg-Chef Willi Xylander gerät beim Gespräch über Asseln, Milben und Springschwänzen ins Schwärmen. Die Biodiversität im Boden sei vergleichbar mit der in einem Regenwald oder einem Korallenriff. Ohne sie gäbe es kein Pflanzenwachstum, sagt Xylander und beschreibt die Arbeit der Tiere als Recyclingbetrieb. Sie seien in der Lage, organisches Material so zu mineralisieren, dass Pflanzen es aufnehmen und so wachsen könnten. Dabei würden die Bodentiere sogar arbeitsteilig vorgehen, fast immer geschehe das in Symbiose mit Pilzen und Bakterien. Ohne «Zersetzungsarbeit» der Tiere würden die Prozesse viel langsamer vonstattengehen.

Auch beim Thema Klimawandel ist die Expertise der Senckenberg- Forscher gefragt. Stichwort Wald: Der Forst will den Wald umbauen, strebt Mischwälder an, die mit Trockenheit besser zurechtkommen. Doch für neue Baumarten braucht man auch die richtigen Bodenorganismen. «Wenn das Laub etwa einer mediterranen Eiche nach unten fällt und die Bodentiere können das nicht verarbeiten, hätten wir ein echtes Problem. Dann wächst der Wald nicht», sagt Xylander. Deshalb habe man gemeinsam mit Kollegen Versuche mit Modellorganismen gemacht. Bei Baumarten, die in hiesigen Breiten nicht gänzlich fremd sind, habe das gut funktioniert: «Da lief das Recycling.»

Größtes Testlabor vor der Haustür

Ricarda Lehmitz forscht auch zur die Ausbreitung von Bodentieren. Mit einer Testreihe auf einem der mehr als 100 Meter hohen Kühltürme des Kraftwerkes Boxberg erregte sie Aufmerksamkeit bei Fachkollegen in aller Welt. Denn Lehmitz fand in luftiger Höhe Bodentiere wie Milben und Springschwänze. «Ich weiß nicht, ob die Tiere sich gezielt mit dem Wind transportieren lassen. Ich würde vermuten, dass es eher Zufall ist», sagt die Forscherin. Ebenso wie mit dem Wind können sich die Tiere mit dem Wasser über Flussläufe ausbreiten.

Ihr größtes Testlabor haben die Senckenberg-Forscher vor der Haustür. Die Wiederbesiedlung von Flächen, die durch die Schaufelräder des Braunkohle-Tagebaus gingen, gehört zu den Spezialitäten der Görlitzer. Xylanders Vorgänger Wolfram Dunger hatte die Forschung Ende der 1950er Jahre in einem nahe gelegenen Tagebau begründet. Dunger erkundete, wie sich ein Lebensraum nach einem Eingriff - quasi nach einer Katastrophe - regeneriert. Der verkippte Abraum des Tagebaus war faktisch frei von Organismen. So konnte Dunger erforschen, wie aus dem Nichts neue Lebensgemeinschaften entstehen.

Das dürfte auch Relevanz für Szenarien des Klimawandels haben. Lehmitz weiß, dass in einer «geschundenen» Landschaft selbst nach 60 Jahren noch nicht alle Arten zurückgekehrt sind. «Erstes Leben findet sich aber schon nach kürzerer Zeit ein - Einzeller oder Fadenwürmer brauchen dafür nur wenige Tage.» «Es gibt ein bestimmtes Verhaltensrepertoire, das öffnet die Türen zur Ausbreitung», erklärt Xylander. «Erstbesiedler» unter den Bodentieren brauchten aber vor allem eine Eigenschaft: «Sie müssen resistent gegen Austrocknung sein. Wenn sie dann noch mit dem kargen Nahrungsangebot klarkommen, sind sie der King im Habitat (deutsch: Lebenraum).»


Bildnachweis: © Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa
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