16. Januar 2023 / Aus aller Welt

Meistgesuchter Mafioso Italiens verhaftet

Ihm werden die schlimmsten Mafiaverbrechen zur Last gelegt: Matteo Messina Denaro galt als letzter großer Boss der Cosa Nostra. Nach drei Jahrzehnten auf der Flucht wird der Mafiaboss verhaftet.

Italienischen Carabinieri führen Matteo Messina Denaro ab.
von Manuel Schwarz, dpa

Matteo Messina Denaro wird von zwei Carabinieri in einen Kleinbus geschoben, dort warten schon Polizisten in Kampfmontur. Der Mann, der der meistgesuchte Mafioso Italiens war, versucht, sein Gesicht unter einer Mütze und hinter dem Jackenkragen zu verstecken.

Nach drei Jahrzehnten der Fahndung nach dem letzten großen Boss der sizilianischen Cosa Nostra feiert Italien die Ergreifung des heute 60-Jährigen. Messina Denaro wurde wegen einiger der furchtbarsten Verbrechen der jüngeren Geschichte verurteilt. «Heute ist ein Tag zum Feiern», sagt Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Palermo, «denn wir können unseren Kindern sagen, dass man die Mafia besiegen kann».

Im Regen, der über der sizilianischen Hauptstadt niederging, endete am Montagmorgen ein großes und für Italien so schmerzhaftes Kapitel des Kampfes gegen das organisierte Verbrechen. Spezialkräfte der italienischen Carabinieri nahmen den Gesuchten in einer Privatklinik in Palermo fest.

«Ich bin Matteo Messina Denaro», sagte der überraschte Verbrecher, als er am Eingang des Krankenhauses von Agenten angesprochen wird. Seine seit 1993 dauernde Flucht war vorbei. Dutzende Polizisten sicherten die Klinik. Als klar war, wer hier verhaftet wurde, applaudierten andere Patienten spontan.

Brutale Verbrechen

Der am 26. April 1962 in der Kleinstadt Castelvetrano im Westen von Sizilien geborene Messina Denaro wurde in Abwesenheit wegen Dutzender Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt. Es sind abscheuliche Taten darunter: Der Mann soll etwa die Bombenanschläge auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr 1992 organisiert haben, bei denen die zwei Mafia-Jäger sowie mehrere Begleiter starben.

Auch die Entführung des kleinen Giuseppe Di Matteo soll er mitgeplant haben: Der Junge war von November 1993 an von der Cosa Nostra mehr als zwei Jahre an unterschiedlichen Orten und unter unmenschlichen Umständen festgehalten worden. Die Mafia wollte erzwingen, dass sein Vater nicht vor Gericht aussagt. Nach 779 Tagen erdrosselten die Mafiosi den Jungen kurz vor dessen 15. Geburtstag und lösten seinen Leichnam in Säure auf. Italien war geschockt von so viel Brutalität.

Zu jener Zeit begann Messina Denaro damit, zum Boss der Cosa Nostra aufzusteigen. Er galt als Vertrauter und dann Nachfolger der ehemaligen Cosa-Nostra-Paten Salvatore «Totò» Riina und Bernardo Provenzano. Den brutalen und skrupellosen Riina nannte man den Boss der Bosse in Sizilien. Er wurde am 15. Januar 1993 verhaftet, also fast auf den Tag genau 30 Jahre vor Messina Denaro. Riina und Provenzano starben 2017 beziehungsweise 2016 im Gefängnis. Messina Denaro galt als letzter noch flüchtiger Top-Mafioso aus jener Zeit.

Seine Verhaftung löste in dem Mittelmeerland große Freude und Genugtuung aus. Auf Handyvideos ist zu sehen, wie Passanten in Palermo nach dem Einsatz zu den Carabinieri gehen und sich - teils unter Tränen - bedanken. Viele klatschen, als ein Komplize von Messina Denaro ebenfalls von der Klinik weggeführt wird.

Ein historischer Tag

Regierungschefin Meloni kündigte eine Initiative an, damit der 16. Januar künftig als Tag zu Ehren der Anti-Mafia-Ermittler und -Staatsanwälte gefeiert wird. «Italien ist stolz auf sie», sagte die Rechtspolitikerin, die sofort nach Sizilien eilte und dort auch jene Stelle an der Autobahn besuchte, an der Falcone getötet wurde.

Politiker aller Parteien lobten die Polizei. Staatspräsident Sergio Mattarella - dessen Bruder Piersanti als Regionalpräsident von Sizilien 1980 von Mafiosi in seinem Auto erschossen worden war - telefonierte mit dem Innenminister und dem Carabinieri-Kommandanten, um diese zu beglückwünschen. Der Sozialdemokrat Enrico Letta twitterte: «Am Ende verliert die Mafia immer. Das ist die zentrale Botschaft dieses historischen 16. Januar.» Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi sprach von einem «Festtag für das ganze Land».

Unter den Jubel über die Verhaftung mischte sich aber auch Unglaube und gar Entsetzen, dass es so lange dauerte, bis der meistgesuchte Kriminelle des Landes festgenommen werden konnte. Der eigentlich untergetauchte Messina Denaro ließ sich seit nicht weniger als einem Jahr wegen einer Krebserkrankung in der Privatklinik behandeln.

Das Krankenhaus teilte mit, dass er vor einem Jahr unter dem Namen Andrea Bonafede eincheckte und operiert wurde und auch danach immer wieder zu Nachkontrollen kam. Angeblich hatte er einen offiziellen Personalausweis und sogar eine Steuernummer unter dieser Identität.

Der letzte Pate der Cosa Nostra

All die Jahre habe der letzte Pate seine Heimat nicht verlassen, twitterte der Journalist, Autor und Anti-Mafia-Aktivist Roberto Saviano, der selbst von der neapolitischen Camorra gejagt wird und unter ständigem Polizeischutz lebt: «Wie alle Bosse blieb er genau an jenem Ort, von dem alle wissen, dass er dort zu finden ist.»

Trotz der kritischen Stimmen sprachen viele von einem historischen Datum im Kampf gegen Mafia. Mario Mori, der frühere Chef der Carabinieri-Spezialeinheit Ros, meinte, die Ära der strukturiert und organisiert operierenden Mafia in Sizilien sei vorbei. «Einige Gegenden werden zwar von der Mafia-Kultur 'befallen' bleiben, aber die Cosa Nostra gibt es nicht mehr», sagte Mori der Nachrichtenagentur Adnkronos.

Ob diese Analyse nicht etwas zu optimistisch ist? Einerseits gehen Experten davon aus, dass Messina Denaro in den vergangenen Jahren ohnehin viel Einfluss verloren hatte. Und selbst wenn die organisierte Kriminalität auf der Mittelmeerinsel nun geschwächt sei, gibt es längst andere Gruppen wie die 'Ndrangheta in Kalabrien, die als deutlich gefährlicher und mächtiger gelten. «Diese Schlacht geht an uns», sagte Meloni in Palermo, «aber wir haben noch nicht den Krieg gewonnen. Wir haben die Mafia noch nicht bezwungen».


Picture credit: © Carabinieri/Carabinieri/AP/dpa
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