10. Juli 2023 / Aus aller Welt

Das ist der Gipfel - das Kreuz mit dem Kreuz

Viele Berggipfel ziert ein Gipfelkreuz. Soll es noch mehr davon geben - oder weniger? Darüber wird in Italien und Österreich emotional debattiert - und nun auch in Deutschland.

Eine Ausflüglerin genießt den Blick am Gipfelkreuz des Taubensteins.
von Sabine Dobel, dpa

Das Kreuz am Gipfel: Für die meisten das Zeichen für das Erreichen des Ziels und Motiv fürs Selfie, für andere gehört es zur Tradition oder hat religiöse Bedeutung. Tausende Kreuze gibt es in den Alpen, allein Österreich hat an die 4000. Dort und in Italien ist ein Streit entbrannt, ob weitere Kreuze aufgestellt oder vielmehr bestehende abgebaut werden sollen - obwohl weder das eine noch das andere ausdrücklich so gefordert worden ist.

Was gegen mehr Kreuze spricht

«Die Realität ist: Auf nahezu jedem nennenswerten Gipfel in den bayerischen Alpen steht schon ein Gipfelkreuz», sagt Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein (DAV). «Die Frage, ob neue Kreuze aufgestellt werden sollen, stellt sich nicht.»

So etwa sehen es auch der Österreichische Alpenverein (ÖAV) und der Alpenverband Club Alpino Italiano (CAI). Der Extrembergsteiger Reinhold Messner, sonst nicht immer einer Meinung mit dem Alpenverein, äußerte sich in der «Bild»-Zeitung ähnlich. «Es kreuzelt allerorten.» Überall stünden schon Kreuze, «es reicht im Großen und Ganzen.» Es sei eine regelrechte «Manie, auf jeden Hügel oder Berg ein Kreuz aufzustellen.» Keine neuen Kreuze, aber morsche ersetzen: Das ist Messners Linie, und im Wesentlichen die der Alpenvereine.

Kein Grund zum Streit also. Doch plötzlich ging es, so hieß es in Medien, um einen «Kulturkampf». Tradition, Identität, Religion - Politiker konservativer Parteien entdeckten das Thema für sich.

In Österreich hatte die Aussage des ÖAV-Präsidenten Andreas Ermacora, man solle keine neuen Kreuze mehr aufstellen, die Debatte angeheizt. Man sei «hier konträrer Meinung», hieß es aus der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). «Gipfelkreuze sind Teil unserer christlichen Tradition und unserer alpinen Kultur», sagte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig laut APA. Ähnliches war aus der FPÖ zu hören. Totschnig: «Die Gipfelkreuze gehören zu unseren Bergen und dort sollen sie auch bleiben.» Einen Abbau hatte freilich keiner verlangt.

Den Ausgang nahm der Disput in Italien, Medien zufolge mit einer Aussage des CAI-Publizisten Marco Albino Ferrari, Kreuze würden nicht mehr alle Bergsteiger ansprechen. Niemand wolle bestehende Kreuz entfernen, es sollten aber keine weiteren aufgestellt werden.

Das Verbot, das niemand fordert

Die rechte Regierungspartei Fratelli d'Italia verlangte erbost: «Hände weg von den Kreuzen auf unseren Bergen.» Verkehrsminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega twitterte, der Vorschlag, Kreuze auf den Bergen zu verbieten, sei eine Dummheit ohne Herz und Verstand. Obwohl von einem Verbot niemand gesprochen hatte.

Inzwischen positioniert man sich auch im katholischen Bayern, wo das Kreuz seit jeher hohe Bedeutung hat. Man erinnere sich an den umstrittenen Kreuzerlass, initiiert 2018 vom damals neuen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), nach dem in jeder Landesbehörde ein Kreuz hängen solle.

«Das Gipfelkreuz gehört auf den Berg wie der weißblaue Himmel zu Bayern», sagte nun zur aktuellen Kreuz-Debatte CSU-Generalsekretär Martin Huber der «Bild»-Zeitung. «Das Gipfelkreuz ist Zeichen von Heimat und Tradition, das beibehalten werden muss.»

Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU), selbst Bergsteigerin, sagte der «Bild»-Zeitung: «Lasst unsere Gipfelkreuze in Ruhe!» Kreuze seien Teil der bayerischen Kultur und Tradition. In Tibet denke niemand nach, Gebetsfahnen am Berg zu verbieten. «Die Leute aus der Region schütteln darüber nur den Kopf. Das versteht keiner bei uns.»

Offen bleibt, an wen sich all die Kreuz-Appelle richten. Denn meist kümmern sich Ehrenamtliche - Burschenvereine, Bergwachtler, Feuerwehr, örtliche Alpenvereinssektionen - um die jeweiligen Kreuze.

Woher kommen die Gipfelkreuze überhaupt?

Eine Frage in dem Streit: Sind Gipfelkreuze noch zeitgemäß - und sind sie religiöse Symbole? Manche tragen immerhin einen gekreuzigten Jesus. Die Gestaltung liege bei den jeweiligen Initiatoren, teilt das Erzbischöfliche Ordinariat München und Freising dazu mit. «Kanonische Regeln für Gipfelkreuze gibt es nicht.» Gipfelkreuze seien eine spezielle Form des Wege- oder Flurkreuzes. Es gehe nicht darum, einen künstlichen Kalvarienberg (Nachbildung von Golgatha) zu inszenieren, sondern den Beistand Gottes herbeizurufen, in einer besonders herausfordernden Natur.

Manchmal wurden laut Bucher Kreuze nach den Weltkriegen aufgestellt, aus Dankbarkeit für das Überleben. Andere gingen auf Wetterkreuze zurück, die Hirten und Waldarbeiter an Übergängen und Pässen aufstellten, um für einen unfallfreien Auf- und Abstieg zu danken.

An der Benediktenwand im Landkreis Bad-Tölz/Wolfratshausen stellten Holzarbeiter 1877 das erste Exemplar nach einem Gelübde auf, nachdem ein Wintereinbruch ihre Arbeit beeinträchtigt hatte. Nun wird es zum zweiten Mal erneuert. Traditionsgerecht wollen 140 Benediktbeurer die 1,4 Tonnen schweren Teile bergauf schleppen. Mit Helikopter wäre es leichter, man wolle es aber bewusst anders, sagt Bürgermeister Anton Ortlieb. «Das stärkt und pflegt den guten Zusammenhalt im Dorf.»

Schon mehrfach wurde das prominente Kreuz der Zugspitze renoviert. Mal brechen Zacken ab, mal muss es neu vergoldet werden. Es ist ohnehin die zweite Version, das Original von 1851 steht im Museum.

Im Himalaya flattern auf den Höhen Gebetsfahnen, als Mitbringsel hängen sie inzwischen auch in Bayern neben manchem Kreuz. In den Westalpen zieren die höchsten Punkte teils Steinpyramiden oder Madonnen, etwa am markanten Dent du Géant in der Montblanc-Gruppe.

Eine andere Gipfelfigur etablierte sich am Grünten im Allgäu: Ein zwei Meter großer Holzphallus - der vor zwei Jahren mehrfach umgesägt und wieder aufgebaut wurde. Auch Gipfelkreuze in Bayern und in der Schweiz wurden vor Jahren mit Axt und Säge bearbeitet. Wem Kreuze oder Phallus nicht gefielen und warum, blieb offen.


Bildnachweis: © Tobias Hase/dpa
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