17. Januar 2022 / Aus aller Welt

«Die einarmige Prinzessin» will «Miss Germany» werden

Auf Instagram lässt die Studentin Gina Rühl Zehntausende Menschen an ihrem Leben teilhaben, zu dem seit einem Unfall auch eine Armprothese gehört. Nun will sie «Miss Germany» werden.

Gina Rühl will «Miss Germany» werden.
von Jonas-Erik Schmidt, dpa

Plötzlich bleibt Gina Rühl stehen und hält inne. Sie betrachtet einen dicken Baum, der am Straßenrand steht. Es ist ein kalter, aber sonniger Tag, von weiter her hört man lachende Kinder auf einem Spielplatz.

«Ja, das ist schon sehr akkurat», urteilt die 22-Jährige beim Betrachten des massiven Baumstamms, der nun einen Moment versinnbildlichen soll, der Rühls Leben schlagartig veränderte. «Ich war halt am Ende um so einen Baum gewickelt.»

Gina Rühl hatte 2019 als Beifahrerin einen schweren Motorradunfall. Sie kennt das Datum, den 15. September 2019, noch ganz genau. Ihr Becken war beidseitig gebrochen, der rechte Unterschenkel komplett zertrümmert. Und ihren linken Arm, den verlor sie. Heute trägt sie eine Prothese. Und ist vielleicht bald «Miss Germany».

Schönheit wird neu definiert

Die Geschichte der Studentin aus Wuppertal ist eine, die man vor 20 oder 30 Jahren kaum hätte erzählen können. Was zu einem großen Teil an Rühl liegt - und zum anderen Teil daran, das in der einstigen Trutzburg des Sexismus-Klischees, den Schönheitswettbewerben, ein Umdenken eingesetzt hat. Der Modus bei «Miss Germany» wurde in den vergangenen Jahren komplett umgekrempelt. Er sieht nun nicht mehr vor, dass sich junge Frauen vor einer überwiegend männlichen Jury präsentieren müssen, die dann anhand tradierter, äußerer Kriterien den Daumen hebt oder senkt. Nun soll es um Authentizität und Persönlichkeit gehen. Der Begriff Schönheit wird neu verhandelt.

Gina Rühl hat es so unter die «Top 22» des aktuellen «Miss Germany»-Jahrgangs geschafft, das Finale findet am 19. Februar in Rust statt. Die Bewerbung habe sie verfasst, als sie gesehen habe, dass es nun auch darum gehe, eine Botschaft zu vermitteln, sagt Rühl bei einem Winter-Spaziergang durch Wuppertal. «Ich habe ja eine Botschaft. Ich will etwas damit sagen.». Sie will zeigen, dass man auch nach einem Schicksalsschlag gut leben kann.

Der Unfall war nicht umsonst

Auf Instagram macht sie das bereits seit geraumer Zeit. Dort nennt sie sich «Die einarmige Prinzessin». Rühl postet Bilder von ihrem vernarbten Arm, von der Prothese, für die sie auch schon Glitzer-Handschuhe ausgesucht hat. Vor dem Spaziergang hat sie eine Story aus dem Auto hochgeladen. «Hello ihr Lieben, muss mein Knauf erstmal dran bauen», berichtet sie.

Mittlerweile hat Rühl mehr als 50 000 Follower und viele Nachrichten im Postfach. Sie merke, dass sie mit ihrem Account anderen helfen könne, sagt sie. «Der Unfall war nicht umsonst, wenn ich anderen damit etwas geben kann und als Vorbild dienen kann», sagt sie. Auch ihr selbst helfe das.

Es gibt Wichtigeres als makellose Bilder

Wobei sie schon kurz nach dem Unfall offenbar eine bemerkenswerte Gefasstheit hatte. Darüber rätselt sie selbst noch in Teilen. Eigentlich sei sie ja immer «eine Mimose» gewesen. «Ich habe mich gestoßen und gefühlt ging die Welt unter. Ich war wirklich wehleidig», sagt sie. Was ebenfalls paradox klinge sei, dass sie mit einem Arm heute mehr Selbstbewusstsein verspüre als mit zwei Armen. Sie wisse eben: Es gibt Wichtigeres im Leben, als zum Beispiel tadellos auf einem Foto zu wirken.

Ihr Ziel ist es, für mehr Sichtbarkeit zu sorgen. Werbung etwa, in der man auch mal eine Prothese sieht, gehört ja nicht zum deutschen Alltag. Einige Firmen seien bei dem Thema schon vorangekommen, aber oft sei es auch «Diversity-Washing», mein Rühl. Was grob gesagt bedeutet, dass in der Werbung zwar nicht mehr nur Menschen nach Schema F gezeigt werden, sondern etwa unterschiedliche Körperformen - dass es den Firmen dabei aber mehr um eine gute Kampagne als um wahre Anerkennung von Vielfalt geht. Bei «Miss Germany» sieht Rühl diese Gefahr nach all ihrer Erfahrung mit den Machern nicht. «Die wollen mich. Denen geht's nicht um die Prothese», sagt sie.

Groß ist das Interesse an ihrer Geschichte aber auch schon vor dem Finale. Die Studentin gibt Interviews in Reihe. «Letztens bei einem Interview sagte eine Frau: Ich habe zu wenige Hände, ich habe keinen Platz!», erzählt sie. «Da habe ich gesagt: Ja, kenn ich.»


Bildnachweis: © Henning Kaiser/dpa
Copyright 2022, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Meistgelesene Artikel

Übersicht über aktuelle Baustellen
Stadt Verl

Wann, wo und wie lange? Hier finden Sie Informationen über aktuelle Verkehrsbaustellen im Stadtgebiet. So können Sie...

weiterlesen...
30. August bis 1. September: Herzlich willkommen zum
Stadt Verl

Verl feiert „Verler Leben“! Drei Tage lang – von Freitag, 30. August, bis Sonntag, 1. September – steht die...

weiterlesen...
Benachrichtigung über Zuschlag ab Ende August
Stadt Verl

Am 30. Juli ist die Bewerbungsphase für Wohnbaugrundstücke im Baugebiet „Leinenweg-Ost“ sowie im...

weiterlesen...

Neueste Artikel

Taifun in Vietnam: Autofahrer stürzen mit Brücke in Fluss
Aus aller Welt

Der Super-Taifun «Yagi» war laut den Behörden in China und Vietnam der heftigste seit vielen Jahren. Nördlich von Hanoi ist auch noch eine Brücke eingestürzt - mitten in einen reißenden Fluss.

weiterlesen...
Drei Brandstellen am Brocken - Drohneneinsatz geplant
Aus aller Welt

Der Brand am Brocken wird weiter bekämpft. Regenfälle haben die Situation etwas entspannt. Doch es muss weiter gelöscht werden. Für Löschflugzeuge ist das Wetter aktuell aber zu schlecht.

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

Taifun in Vietnam: Autofahrer stürzen mit Brücke in Fluss
Aus aller Welt

Der Super-Taifun «Yagi» war laut den Behörden in China und Vietnam der heftigste seit vielen Jahren. Nördlich von Hanoi ist auch noch eine Brücke eingestürzt - mitten in einen reißenden Fluss.

weiterlesen...
Drei Brandstellen am Brocken - Drohneneinsatz geplant
Aus aller Welt

Der Brand am Brocken wird weiter bekämpft. Regenfälle haben die Situation etwas entspannt. Doch es muss weiter gelöscht werden. Für Löschflugzeuge ist das Wetter aktuell aber zu schlecht.

weiterlesen...