7. Juni 2024 / Aus aller Welt

Wieder mehr häusliche Gewalt in Deutschland

Im vergangenen Jahr gab es hierzulande wieder mehr Opfer von häuslicher Gewalt. Das war auch im Vorjahr so. Die Bundesregierung will seit längerem nachsteuern - doch vieles ist noch in Planung.

Auch im vergangenen Jahr waren bei häuslicher Gewalt 75,6 Prozent der Tatverdächtigen männlich. Mit 79,2 Prozent waren die Opfer von Partnerschaftsgewalt überwiegend Frauen, 20,8 Prozent...
von Fatima Abbas, dpa

Es trifft vor allem Frauen und zwar aus allen gesellschaftlichen Schichten: Die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Wie aus einem aktuellen Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht, waren insgesamt 256.276 Menschen im Jahr 2023 offiziell von häuslicher Gewalt betroffen - 6,5 Prozent mehr als 2022. Bereits im Jahr davor hatte es einen Anstieg um mehr als acht Prozent gegenüber 2021 gegeben. In beiden Jahren waren drei Viertel der Tatverdächtigen männlich.

«Jeden Tag werden in Deutschland im Durchschnitt über 700 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die zusammen mit Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und der Vizepräsidentin des Bundeskriminalamts, Martina Link, das sogenannte Bundeslagebild zur häuslichen Gewalt in Deutschland vorstellte. «Die Opfer sind weit überwiegend Frauen», betonte Faeser weiter. 70,5 Prozent heißt es in der offiziellen Statistik. Doch die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen.

Von häuslicher Gewalt ist immer dann die Rede, wenn es sich um Personen handelt, die in einer partnerschaftlichen Beziehung zueinander sind oder waren oder wenn sich die Gewalt in der Familie abspielt, beziehungsweise eine familiäre Beziehung besteht. Es sei dabei unerheblich, ob sich die Gewalt innerhalb der eigenen vier Wände zutrage, erklärte BKA-Vizepräsidentin Martina Link.

Gewalt durch Partner oder Ex-Partner besonders häufig

Besonders im Fokus steht dabei die Gewalt, die von Partnern oder Ex-Partnern verübt wird. Diese betrifft mit 65,5 Prozent die meisten Opfer häuslicher Gewalt. Hier gab es 2023 knapp 168.000 Fälle - 6,4 Prozent mehr als 2022. Mit 79,2 Prozent waren die Opfer von Partnerschaftsgewalt überwiegend Frauen. In den meisten Fällen handelte es sich dabei um vorsätzliche einfache Körperverletzung (59,1 Prozent), Bedrohung, Stalking oder Nötigung (24,6) sowie um gefährliche Körperverletzung (11,4).

Im vergangenen Jahr sind laut Statistik 155 Frauen durch ihren Partner oder Ex-Partner umgebracht worden - 22 mehr als im Vorjahr. Unter den Männern waren es 24.

Femizide dürften nicht als «Eifersuchtsdramen verharmlost werden», mahnte Faeser. Familienministerin Paus betonte, dass Gewalt gegen Mütter auch Kinder ein Leben lang belasten könne. «Wenn Kinder sehen, dass ihre Mutter geschlagen wird, dann hat das weitreichende Folgen.»

Innerfamiliäre Gewalt trifft auch viele Kinder

Die restlichen Betroffenen, die in der Statistik registriert sind, haben innerfamiliäre Gewalt erlebt (34,5 Prozent). Die kann sich beispielsweise auch zwischen Großeltern und Enkelkindern oder anderen nahen Angehörigen abspielen.

Betroffen waren im vergangenen Jahr 88 411 Menschen - ebenfalls ein Anstieg um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Gegensatz zu den Opfern partnerschaftlicher Gewalt ist das Geschlechterverhältnis hier relativ ausgeglichen. Lediglich 54 Prozent der Opfer waren weiblich, ein Viertel von ihnen jünger als 14.

Erklärversuche

Laut BKA-Vizepräsidentin Link dürften die gesellschaftlichen Krisen eine Rolle bei der immer weiter steigenden Opferzahl spielen. Aber auch die Anzeigebereitschaft sei zuletzt gestiegen. Immer mehr Nachbarn oder Menschen aus dem näheren Umfeld trauten sich, Täter anzuzeigen.

Dieses Phänomen beobachtet auch Petra Söchting, die das Hilfetelefon «Gewalt gegen Frauen» leitet. Bei ihr seien im vergangenen Jahr mit 59 000 so viele Beratungsfälle angefallen wie noch nie, erklärte sie. Ein Anstieg um zwölf Prozent im Vergleich zu 2022.

Klar ist: Die Zahlen steigen Jahr für Jahr. Angebote für Betroffene gibt es zwar schon, doch sie reichen längst nicht aus, um den Bedarf zu decken. Die beiden Ministerinnen Faeser und Paus sehen sich zwar nach eigenen Worten in der Verantwortung, haben aber auf wichtige Fragen noch keine finalen Antworten.

Verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings

Der Opferschutz müsse früh ansetzen, betonte Faeser. Deshalb plane Deutschland ein Modell wie in Österreich: Dort müssten verurteilte Täter, denen verboten wurde, sich einer Frau zu nähern, verpflichtend an einem Anti-Gewalt-Training teilnehmen.

Eine solche Verpflichtung müsse es auch in Deutschland geben. Das Gewaltschutz-Gesetz soll laut Faeser entsprechend geändert werden. In diesem Zusammenhang sei auch eine verpflichtende elektronische Fußfessel für solche Gewalttäter im Gespräch, erklärte sie. So könne die Polizei im Ernstfall schneller eingreifen.

Eine weitere Maßnahme seien Schalter der Bundespolizei, die künftig an Bahnhöfen in Deutschland rund um die Uhr für betroffene Frauen erreichbar sein sollen. Noch in diesem Jahr würden entsprechende Pilotprojekte starten, kündigte Faeser an.

Zu wenig Plätze in Frauenhäusern

Auch Paus betonte, dass sie aktuell in Beratungen mit den Ländern für ein neues «Gewalthilfegesetz» sei. Das solle «einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung» sowie eine dauerhafte Finanzierung der Schutz-Angebote durch den Bund verankern und helfen, dringend benötigte Frauenhausplätze zu schaffen.

In Deutschland gebe es derzeit 7786 Plätze, erklärte Paus. Die Einrichtungen sähen aber einen zusätzlichen Bedarf von 10.300 Plätzen. Die Gewerkschaft der Polizei geht sogar von 14.000 fehlenden Plätzen aus.

Wie diese Lücke in Gänze geschlossen werden soll, verriet die Ministerin nicht. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Silvia Breher hatte Paus zuvor dazu ermahnt, dringend in neue Plätze zu investieren. Ein Rechtsanspruch auf Schutz ergebe nur Sinn, wenn es auch genügend Plätze gebe, argumentierte Breher.

Auch Sozialverbände pochen auf größere Investitionen. «Ohne eine verbindliche Finanzierung durch alle staatlichen Ebenen» könne der flächendeckende Zugang zu Schutzangeboten nicht gewährleistet werden, sagte die Präsidentin des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier.


Bildnachweis: © Fabian Sommer/dpa
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