15. September 2021 / Aus aller Welt

Fall Ursula Herrmann jährt sich zum 40. Mal

Die zehnjährige Ursula Herrmann wurde entführt und lebendig begraben. Das ist 40 Jahre her. Doch das grausame Verbrechen beschäftigt weiterhin Anwälte und Ermittler.

Die Reproduktion zeigt die Kiste, in der 1981 das zehnjährige Entführungsopfer Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee erstickte.
von Ulf Vogler, dpa

Nur wenige Verbrechen haben die Menschen im Nachkriegsdeutschland so bewegt wie die Entführung und der Tod der kleinen Ursula Herrmann. Die Zehnjährige wurde am 15. September 1981 am Ammersee verschleppt und in einer vergrabenen Kiste eingesperrt - das Mädchen erstickte.

Bis heute zweifeln viele daran, dass der wahre Täter verurteilt wurde - selbst Ursulas Bruder. Und nach 40 Jahren beschäftigt der Fall auch immer noch die Juristen. Ein aktuelles Ermittlungsverfahren läuft bei der Staatsanwaltschaft in Augsburg.

Falsches Bekennerschreiben?

Im November 2020 tauchte ein neues «Bekennerschreiben» auf. Die Staatsanwaltschaft prüft das Schreiben seitdem. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Brief von dem angeblichen Verfasser nicht wirklich selbst geschrieben wurde. Vielmehr wird vermutet, dass eine unbekannte Person jemanden anschwärzen will.

Das Dokument werde weiterhin ausgewertet und auf Spuren untersucht. «Diese spurentechnischen Untersuchungen dauern teilweise länger», erklärt Oberstaatsanwalt Andreas Dobler. Dies sei noch nicht abgeschlossen, der Verfasser des Briefes noch nicht gefunden.

Unterdessen jährt sich die Entführung zum 40. Mal. Auf dem Heimweg war das Kind damals in Eching verschleppt worden. Das Fahrrad der Schülerin wurde gefunden, Ursula war aber spurlos verschwunden. Bei den Eltern gingen Erpresseranrufe ein, in einem Brief wurden zwei Millionen Mark Lösegeld gefordert.

Tatsächlich war Ursula zu diesem Zeitpunkt längst tot. Die Luftzufuhr in ihrem Erdverlies funktionierte nämlich nicht, das Mädchen hatte keine Überlebenschance. Am 4. Oktober 1981 wurde die vergrabene Kiste mit der Leiche entdeckt.

Tausende Hinweise

Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) zählt die Entführung Ursulas zu den spektakulärsten Verbrechen der Kriminalbehörde. Auf einer Internetseite erinnert das LKA daran, dass 5000 Hinweise abgearbeitet und 20.000 Fingerabdrücke verglichen worden seien. Doch darüber hinaus wurden die Ermittlungen der Polizei damals auch von Pannen überschattet, ein Täter wurde zunächst nicht gefasst.

Dabei versuchte auch TV-Fahnder Eduard Zimmermann mehrfach in seiner populären ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY...ungelöst», den Entführer zu finden. Der mittlerweile verstorbene Fernsehmoderator berichtete, wie ihn die Bilder des in der Kiste eingepferchten und dort erstickten Kindes berührt hätten. Die tote Ursula habe ihn «mit flehenden Augen» angeschaut. «Bis jetzt verfolgen mich diese Augen», sagte Zimmermann zwei Jahrzehnte nach dem Verbrechen.

Doch erst 2008 wurde in Kappeln in Schleswig-Holstein ein Mann festgenommen, der später in Augsburg zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Der 71-Jährige bestreitet nach wie vor, der Täter zu sein. Auch Hinweise auf mögliche Mittäter sind ungeklärt. Bis heute gibt es daher Zweifel, ob der Richtige im Gefängnis ist.

Verjährt die Tat?

Doch einen neuen Strafprozess um die Tat von 1981 wird es wohl nicht geben, selbst wenn die Staatsanwaltschaft nun noch einen neuen Täter finden würde. Denn die Tat ist nach Ansicht der Anklagebehörde verjährt. Das Verbrechen wird als erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge gewertet - nicht als Mord, für den es keine Verjährungsfrist gibt.

Rechtsanwalt Joachim Feller, der den Bruder Ursulas vertritt, könnte sich hingegen vorstellen, den Fall nach neuer Rechtssprechung auch als Mord einzustufen und neu zu verhandeln. Feller schließt auch nicht aus, dass das mysteriöse «Bekennerschreiben» neue Hinweise liefern kann. Denn es enthalte möglicherweise «Täterwissen», betont er. «Da stehen Details drin, die nie in den Medien waren.»

Zweifel an der einst von der Strafkammer des Landgerichts Augsburg angenommenen Tatversion hegt auch Bruder Michael Herrmann. Er hatte vor wenigen Jahren ein Schmerzensgeldverfahren gegen den inhaftierten Verurteilten angestrengt, auch in der Hoffnung, der Fall werde noch einmal grundsätzlich aufgerollt. Dazu kam es nicht - und der Bruder des Opfers zog ein bitteres Fazit: «Vieles spricht dafür, dass ein Unschuldiger seit zehn Jahren im Gefängnis sitzt», schrieb er 2018 in einem offenen Brief an die bayerische Justiz.

«Er ist natürlich frustriert», sagt sein Anwalt Feller. Man habe viele neue Hinweise geliefert und trotzdem werde nicht nach einem neuen Täter gesucht.

Auf der anderen Seite versucht der Rechtsanwalt des Verurteilten, Walter Rubach, seit langem Beweismaterial zu finden, um ein Wiederaufnahmeverfahren einzuleiten. Doch etwas Handfestes hat Rubach bislang nicht, auch in das jüngste Schreiben setzt er keine große Hoffnung. Es sei wohl eher nur ein Versuch, «Aufmerksamkeit zu erregen». Sein Mandant habe nun aber eine andere Perspektive auf Freiheit: «Ich schätze, dass er 2023 rauskommen könnte», sagt Rubach.


Bildnachweis: © picture alliance/dpa/Archivbild
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