17. Oktober 2021 / Aus aller Welt

Fluch und Segen der Kanaren-Vulkane

Seit Wochen liefert der Vulkan auf La Palma schaurig-schöne Bilder. Für die Betroffenen ist der Feuerberg eine Katastrophe. Aber die Naturgewalten faszinieren auch. Und die Menschen geben nicht auf.

Lava fließt aus dem Vulkan Cumbre Vieja auf der Kanareninsel La Palma.
von Jan-Uwe Ronneburger, dpa

Mit einer Mischung aus Schrecken und Mitleid sehen Fernsehzuschauer rund um die Welt, wie der Vulkan auf der Kanareninsel La Palma seit vier Wochen Tausende in die Flucht schlägt.

Vom sicheren Sofa aus lässt sich wie in Zeitlupe die Zerstörung Hunderter Wohnhäuser durch die bis zu 1200 Grad heiße Lava beobachten. Über dem fauchenden Vulkankegel steht eine dunkle Aschewolke, an den Hängen wälzen sich rotglühende Lavaströme hinab und verbrennen und zermalmen alles auf ihrem Weg zum Meer.

Nichts bleibt von der vertrauten Umgebung, dem Zuhause, dem Ort, an dem die Menschen aufgewachsen sind, nur ein schwarze glühende Masse. «Stell dir vor, wie sehr es schmerzt zu sehen, dass der Ort, wo ich mein ganzes Leben verbracht habe, einfach verschwindet», sagt Enrique González (46) dem staatlichen TV-Sender RTVE in La Laguna, während er Hausrat auf einen Laster lädt.

Angesichts der Bilder und des Leids wird leicht vergessen, dass es ohne die Vulkantätigkeit die Insel gar nicht geben würde und auch die anderen nicht, die bekannteren und bei Touristen wegen ihres milden Klimas beliebten Kanareninseln Teneriffa, Gran Canaria, Fuerteventura, Lanzarote und Gomera. Sie verdanken ihre Existenz rund 200 Kilometer westlich der Westküste Afrikas einem sogenannten Hotspot tief im Erdinneren, von dem aus punktuell Magma an die Oberfläche drängt. Im Laufe von Millionen Jahren wuchsen die Inseln aus dem Meeresboden empor, und zwar von Ost nach West. Fuerteventura ist etwa 22 Millionen Jahre alt, La Palma im Westen «nur» circa zwei Millionen.

Neben dem ganzjährig milden Klima locken auch die bizarren Landschaften früherer Vulkanausbrüche Hunderttausende Touristen auf die Kanaren. Der wohl bekannteste Vulkan ist der 3715 Meter hohe Teide auf Teneriffa. Die wüstenähnliche Gegend rund um den höchsten Berg Spaniens wirkt wie eine Mondlandschaft. In Santa Cruz de Tenerife sonnen sich die Urlauber auf dem pechschwarzen Sand der Playa Jardin. Und auf Lanzarote ist der Lavatunnel von Janeos del Agua eine ebenso beliebte Touristenattraktion wie der farbige Berg Montaña Colorado. Im Nationalpark Timanfaya fühlt sich der Besucher wie auf einem anderen Planeten.

Und auch der Vulkan auf La Palma lockt schon Reisende an. Von Teneriffa aus werden per Schiff Tagestouren oder auch Besuche mit Übernachtung auf der Vulkaninsel angeboten. Für die Menschen, die bisher meist vom Bananenanbau lebten, könnte das eine neue Einnahmequelle sein.

Dass Vulkantourismus nicht ganz ungefährlich ist, zeigte jedoch das Unglück auf White Island vor der Küste von Neuseeland. Im Dezember 2019 war dort ein Vulkan plötzlich ausgebrochen, während gerade 47 Ausflügler auf der Insel waren. 22 von ihnen starben, die meisten Überlebenden erlitten schwere Verbrennungen. «Ein Vulkan schläft nie ganz, er kann jederzeit wieder aktiv werden», sagt die Vulkanologin und Gründerin der Stiftung Volcano Active Foundation in Barcelona, Anne Fornier. Ihr geht es um mehr Sicherheit für Menschen, die in der Nähe von Vulkanen siedeln.

Trotz des heftigen Vulkanausbruchs auf La Palma ist dort bisher noch niemand ernsthaft verletzt worden. Das lag auch an einem Krisenplan der Inselregierung. Ältere und in ihrer Bewegung eingeschränkte Menschen waren vorsorglich schon kurz vor dem Ausbruch, der sich durch Hunderte leichte bis mittlere Beben andeutete, in Sicherheit gebracht worden. Zudem waren die Bewohner gefährdeter Gebiete aufgerufen worden, Fluchtgepäck mit den wichtigsten Unterlagen, Medikamenten und ihrem Handy griffbereit zu haben. Auch die Sammelpunkte im Falle von Evakuierungen waren bekannt. Große Hilfsbereitschaft und Soforthilfen in Millionenhöhe des Staates linderten die größte Not der 7000 seit dem Ausbruch Evakuierten.

Dennoch hätten die Menschen das von dem Vulkan ausgehende Risiko wohl etwas unterschätzt, sagt Fornier. «Der Vulkan liegt in derselben Region der Insel, wo erst vor 50 Jahren der Teneguía ausgebrochen war. Und davor spie der Vulkan San Juan 1949 fast an derselben Stelle wie heute große Mengen Lava aus», gibt sie im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur zu bedenken. «Man muss schon fragen, warum dort im Tal von Aridane so viele Baugenehmigungen erteilt wurden», sagt die Französin. Man habe wohl gehofft, es werde schon gut gehen.

Auch 1949 ließ die Lava neues Land vor der Küste entstehen. Nachdem der Boden abgekühlt war, wurden die harschen Oberflächen mit Mutterboden aus anderen Inselteilen bedeckt. Dort finden sich heute einige der ertragreichsten Bananenplantagen, die nun zum Teil gerade wieder zerstört werden. «Das ist einer der Gründe, warum Menschen trotz der Risiken in der Nähe von Vulkanen leben», sagt Fornier. Denn Vulkanasche ist sehr fruchtbar.

Es gebe aber auch andere, weniger praktische Gründe, warum Menschen Regionen mit aktiven Vulkanen nicht verließen, sagt Fornier. Gerade in der Nähe von Vulkanen empfänden die Menschen oft eine besonders enge Bindung an die Erde. «In manchen Kulturen gelten Vulkane als Götter, die reiche Ernten gewähren, aber auch zornig werden mit den Menschen und sie dann durch einen Ausbruch strafen», erzählt die Expertin von Vulkanen in Afrika oder Südamerika.

Auch die Bewohner von La Palma halten an ihrer Insel fest. «Mein Urgroßvater hat auf dem Vulkan gebaut, mein Großvater hat alles durch den Vulkan verloren, mein Vater hat wieder auf dem Vulkan gebaut, und wir haben wieder alles durch den Vulkan verloren», sagte der Agraringenieur Fran Leal der Zeitung «El País». «Warum? Ganz einfach. Wir leben im Paradies und kennen den Preis, der manchmal bezahlt werden muss. Wenn dieser Vulkan erloschen ist, suche ich mir ein Stück Land und fange von vorne an.»


Bildnachweis: © Daniel Roca/AP/dpa
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