27. Oktober 2022 / Aus aller Welt

Pflanzenvielfalt: Mehr Verlierer als Gewinner

Der Verlust der Biodiversität in Deutschland ist Experten schon lange bekannt. Nun zeigt eine Studie genauer den Umfang des Artenrückgangs in Deutschlands Pflanzenwelt.

Unter den Klima-Verlierern: Kornblumen auf einem Getreidefeld in Pulheim.
von Wilhelm Pischke, dpa

«Es ist ein bisschen wie an der Börse», sagt Helge Bruelheide, Geobotaniker an der Universität in Halle. «Die Verluste verteilen sich auf viele kleine Verlierer, die Gewinne streichen wenige große Unternehmen ein. So beschreibt Bruelheide einen Teil der Erkenntnisse aus einer Studie zur Artenvielfalt in Deutschlands Pflanzenwelt, die kürzlich veröffentlicht wurde.

Laut Bruehlheide gab es in den vergangenen fast 100 Jahren in Deutschland mehr Pflanzenarten, die Bestandsverluste hatten als solche mit Zugewinnen. Konkret zeigten 1011 der in der Studie untersuchten Arten einen negativen und nur 719 einen positiven Bestandstrend. Das bedeutet rund 40 Prozent mehr Verlierer als Gewinner.

Dabei verteilten sich die Verluste der Studie zufolge viel gleichmäßiger auf die entsprechenden Arten als die Gewinne. Diese konzentrierten sich auf wenige sich rasch verbreitende Arten neben denen es viele gab, die nur wenig zulegten. Für die Studie wurden 1794 Arten untersucht. Nur bei wenigen hatte sich die Ausbreitung nicht verändert.

Sorge ums Gleichgewicht des Ökosystems

Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz waren bis 2018 zudem 76 Arten von Farn- und Blütenpflanzen in den vergangen etwa 150 Jahren ausgestorben oder nicht mehr auffindbar.

«Grundsätzlich lässt sich sagen, je mehr Arten verloren gehen, desto mehr gerät das Ökosystem aus dem Gleichgewicht», sagt ein Sprecher des Naturschutzbundes Deutschlands (Nabu) zu den Studienergebnissen. Die Abnahme von Pflanzenarten wirke sich direkt auf die Tierarten aus, die diese als Nahrungsquelle oder Lebensraum nutzten.

Doch wer sind die Verlierer und Gewinner? Zu Letzteren gehören laut Bruelheide zum Beispiel die Spätblühende Traubenkirsche und die Roteiche, die beide aus Nordamerika stammen, mittlerweile aber auch in Wäldern Deutschlands zu finden seien. Im großen Lager der Verlierer finden sich viele Ackerwildkräuter wie die Kornblume, Wiesenbewohner wie die Acker-Witwenblume und Feuchtgebietsarten wie der Teufelsabbiss.

Besonders stolz ist Bruelheide auf die Datenfülle der «Spurensuche» in ganz Deutschland. Die Arbeit habe über zehn Jahre in Anspruch genommen. Zahlreiche Fachleute hatten für die Studie Daten von mehr als 7700 Flächen zur Verfügung gestellt, deren Pflanzenbestand von 1927 bis 2020 mehrfach erfasst worden war. «Wir können die Entwicklungen nun mit Daten festklopfen», sagt Bruelheide.

Intensive Landnutzung als Startpunkt

Die Daten zeigen auch eines: Der Verlust der Biodiversität in der Pflanzenwelt ist kein neues Phänomen. Das stärkste Ungleichgewicht zwischen Gewinnen und Verlusten gab es der Studie zufolge zwischen Ende der 1960er Jahre und dem Beginn des 21. Jahrhunderts. «Eingeläutet wurde diese Phase durch die starke Intensivierung der Landnutzung», erklärt Bruelheide. Inzwischen seien sogar Erfolge von Naturschutzmaßnahmen sichtbar. So habe sich der nach wie vor anhaltende negative Trend etwas abgeschwächt.

Dennoch liefere die Studie aus seiner Sicht alarmierende Ergebnisse. Aus den langjährigen Verlusten bei einem Großteil der Arten lässt sich für den Forscher Bruelheide nur eines ableiten: «Wir müssen alles schützen, was an seltenen Habitaten noch da ist.» Es sei bereits viel verloren. Von einigen Pflanzen gebe es nur noch so wenige Exemplare, dass man sie im niedrigen dreistelligen Bereich zählen könnte. «Diese Entwicklung muss gestoppt werden.»

Deutschland benötige mehr und besser gemanagte Schutzgebiete damit Populationen geschützte Rückzugsorte finden und in denen seltene Arten überleben können, betont auch der Sprecher des Nabu. Vor allem sei eine Reduktion der Pestizide notwendig. Auch die Bemühungen Flüsse wieder zu renaturieren müssten weiter gehen. «In jedem Fall besteht großer Handlungsbedarf.»


Bildnachweis: © Federico Gambarini/dpa
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