28. Juni 2021 / Aus aller Welt

Polizeipferde als Sympathieträger

Pferde sind Fluchttiere. Für ihren Einsatz bei der berittenen Polizei müssen sie deshalb Gelassenheit lernen, auch wenn es um sie herum knallt, rasselt oder knistert. Nicht alle finden diese Ausbildung der Tiere richtig.

Cool bleiben: Im wöchentlichen Training wird Gelassenheit gegen Störfaktoren immer wieder geübt.
von Julia Giertz (Text) und Uwe Anspach (Bilder), dpa

Lester ist ein cooler 15-Jähriger: Ihn irritieren weder kläffende Hunde, laute Sirenen oder wehende Fahnen. Neugierig, lernbereit, mutig - der große Braune ist ein Aktivposten in der Reiterstaffel das Landes Baden-Württemberg.

Das Warmblut-Pferd mit der Stern-Blesse steht bei Einsätzen an vorderster Front und verhindert, dass unerfahrene Tiere nervös werden und ausscheren.

Das Pferd denkt mit

Stammreiter Ralf Münzer schätzt an seinem Pferd, dass es einen eigenen Kopf hat, mitdenkt und temperamentvoll ist. Das Tier sei aber auch sehr selbstbewusst und eigenbrötlerisch, sagt Münzer, eines der 15 Mitglieder der Mannheimer Reiterstaffel. Anfangs habe der Wallach keinen Respekt vor Menschen gehabt. Nach etlichen Kämpfen zwischen Pferd und Reiter gehört er jetzt zu den «Verlass-Pferden». In ganz Deutschland hat die Polizei tierische Unterstützung, vor allem im Westen.

Stuten gibt es bei den Reiterstaffeln nicht. Auf dem Hof im ländlichen Weiler Mannheim-Straßenheim erklärt der Leiter der Staffel, Jens Grimm: «Weibliche Tiere würden Unruhe verursachen - dann werden die Wallache doch wieder zu kleinen Hengsten.» Für die Staffeln in Mannheim und Stuttgart sind um die 30 Pferde im Dienst.

Viele Einsätze während der Pandemie

Die Pandemie hatte auch auf sie Einfluss: Sie rückten bei einem Großteil ihrer Einsätze aus, um die Demos gegen die Corona-Politik oder das Einhalten der Corona-Verordnung zu überwachen. Im Jahr 2020 (Januar bis November) hatten etwa im Südwesten rund jeder zweite der insgesamt 366 Einsätze Bezug zur Pandemie. Vom Pferderücken aus haben die Beamten den Überblick. Gerade bei unerlaubten Versammlungen werden Pferde zur Räumung eingesetzt. Mit ihren 750 Kilo können sie Menschen wegschubsen, ohne sie zu verletzen.

Auch bei Fußballspielen und der Vermisstensuche leisten Pferde gute Dienste. Die Beamten hoch zu Ross durchlaufen eine allgemeine Polizeiausbildung, bevor sie zur Reiterstaffel kommen. In der Hamburger Innenbehörde etwa heißt es: «Die Reiterstaffeln können für Respekt sorgen, ohne martialisch zu wirken.» In der Hansestadt sind berittene Polizisten heute ein selbstverständlicher Anblick; 2010 war nach 35 Jahren wieder eine Reiterstaffel eingeführt - und die Fahrradstaffel abgeschafft worden.

Vor allem in Bayern wird die Arbeit der Berittenen geschätzt. Derzeit gibt es 59 Dienstpferde in München, Rosenheim und Nürnberg - 100 Pferde sollen es bis Ende der Legislaturperiode werden. Patin der Staffeln ist keine Geringere als Karin Baumüller-Söder, die Frau des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). In Niedersachsen gehören drei Dutzend Beamte und fast ebenso viele Pferde zur berittenen Polizei. Auch in Hessen, Sachsen und bei der Bundespolizei sind Pferde im Einsatz.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) lobt die hohe Mobilität, Flexibilität und Durchsetzungsfähigkeit der Staffeln. Wie sein Amtskollege Herbert Reul (CDU) aus Nordrhein-Westfalen, wo 31 Pferde Dienst tun, meint er: «Die Pferde sind Sympathieträger der Polizei.» Auch der Mannheimer Staffel-Chef Grimm ist von der deeskalierenden Wirkung der Pferde überzeugt. Rowdys würden beim Anblick der Tiere zahm und fragten: «Darf ich mal streicheln ?». Dann antwortet der 52-Jährige humorvoll: «Aber nur das Pferd.» Weniger amüsant dürfte für die Reiter die Kritik von Tierschützern sein.

Kritik von Tierschützern

Der Deutsche Tierschutzbund mahnt zur Rücksicht auf die naturgegebenen Merkmale der Tiere. «Pferde - auch Polizeipferde - sind Fluchttiere, die sehr hoch entwickelte Sinnesorgane haben und die in Situationen, die ihnen Angst machen, versuchen zu fliehen», erläutert Hester Pommerening vom Tierschutzbund. Sie müssten jahrelang ausgebildet werden, um sie an normalerweise Angst einflößende Ereignisse zu gewöhnen. Der Einsatz in Innenstädten sollte Ausnahme sein, bei lauten Veranstaltungen ganz untersagt werden. Denn Pferde hören nach Angaben des Verbands im Ultraschallbereich.

Grimm kontert: «Der Instinkt bleibt bestehen - wir bringen den Tieren nur bei, dass es keinen Grund gibt, zu fliehen.» Mit gutem Zureden und reiterlichen Hilfen werde den Tieren beigebracht, dass wehende Fahnen und laute Trommeln ihnen nicht schaden.

Im wöchentlichen Training wird Gelassenheit gegen solche Störfaktoren immer wieder geübt. Dort stößt diesmal auch Lester an seine Grenzen. Er tritt auf der Stelle, als ein rechteckiger Pappkarton vor ihm auftaucht. Das Objekt ist ihm nicht geheuer, und er lässt sich nur schwer dazu bringen, dagegen zu laufen. Dass er dann über den nachgebenden Karton steigen soll, passt dem Wallach gar nicht. Doch sein Reiter übt solange mit ihm, dass er ohne Zögern den ungewohnten Untergrund überwindet. Nach mehreren Stunden Training lässt Münzer die Zügel locker. Lester hat jetzt Feierabend und fordert scharrend sein Futter ein.


Bildnachweis: © Uwe Anspach/dpa
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