14. November 2023 / Aus aller Welt

Verdächtiger wollte Klasse mit Molotowcocktail angreifen

Fünf Tage nach der tödlichen Attacke eines Jugendlichen auf einen Mitschüler geben Ermittler neue Einzelheiten preis. Auch gegen die Eltern des Verdächtigen gibt es schwere Vorwürfe.

Oberstaatsanwältin Iris Janke informiert über Einzelheiten nach den tödlichen Schüssen auf einen Schüler in Offenburg.
von Christian Böhmer, Aleksandra Bakmaz und David Nau, dpa

Schüler und Lehrer der Offenburger Waldbachschule waren in größerer Gefahr als bisher bekannt: Der mutmaßliche Todesschütze wollte laut Ermittlern im eigenen Klassenzimmer einen mitgebrachten Molotowcocktail entzünden - was ihm aber nicht gelang. Die tödliche Attacke auf einen Mitschüler zeige, dass ein erhebliches Aggressionspotenzial vorliege, sagte Staatsanwältin Iris Janke am Dienstag: «Sowohl gegen andere als auch gegen sich selbst.» Der 15-Jährige sei gezielt in den Klassenraum gegangen und habe in Anwesenheit der Mitschüler auf den Hinterkopf des Opfers geschossen.

Der 15 Jahre alte Schüler soll am Donnerstag einen Gleichaltrigen in der Klasse der sonderpädagogischen Schule erschossen haben. Der Deutsche sitzt seither wegen des Verdachts auf Totschlag in Untersuchungshaft.

Ermittlungen auch gegen Eltern

Auch gegen die Eltern des Jugendlichen wird ermittelt, unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Die Ermittlungen umfassten auch den Vorwurf von Straftaten nach dem Waffengesetz, sagte Staatsanwalt Martin Seifert. Beide Eltern seien nicht im Besitz einer Waffenbesitzerlaubnis, hieß es weiter.

Die halbautomatische Selbstladewaffe, eine Beretta, stamme aus dem häuslichen Umfeld. Woher sie genau kommt und wie lange sie im Besitz der Familie war, sei unklar. Ermittelt werde auch zur Frage, ob der 15-Jährige Mitwisser gehabt habe. Zum Motiv wurden keine expliziten Angaben gemacht - in Kreisen war von Eifersucht die Rede gewesen.

Bis zu dem Vorfall sei der Tatverdächtige unauffällig gewesen, sagte Janke, die die Offenburger Staatsanwaltschaft leitet. Der Jugendliche sei nie durch Aggressionsdelikte auffällig geworden. Bisher habe sich der 15-Jährige nicht zu den Vorwürfen geäußert. In der Schule wurden nach Angaben der Ermittler 50 nicht abgefeuerte Patronen gefunden.

Was am Tattag geschah

Eigentlich krankgemeldet sei der Teenager doch in die Schule gekommen. Neun Schüler und zwei Lehrerinnen seien im Klassenzimmer gewesen, sagte der Leiter der örtlichen Kriminalpolizeidirektion, Raoul Hackenjos. Nachdem der 15-Jährige den Raum nach den Schüssen wieder verlassen hatte, schlossen die Lehrerinnen die Tür ab. Eine habe sich dann um den verletzten Schüler gekümmert, die andere die übrigen Jugendlichen in einen Nebenraum gebracht. Das 15-jährige Opfer starb kurze Zeit später im Krankenhaus.

Der Tatverdächtige habe nach der Tat im Treppenhaus den Brandsatz in Richtung der Schulleiterin geworfen, die sich dort befand, berichtete Hackenjos. Der Brandsatz sei dann zu Bruch gegangen - die Untersuchung der Reste dauere noch an. Zu Berichten, der mutmaßliche Täter habe Namen von anderen Personen dabei gehabt, sagte er, es gebe Aufzeichnungen mit skizzenhaften Plänen und Namen.

Strenge Regeln bei jugendlichen Verdächtigen

Janke machte deutlich, dass es um ein Verfahren nach dem Jugendstrafrecht geht. Dieses unterliege strengen Regeln. So gebe es etwa Vorgaben für die Informationspolitik der Ermittler. Sollte sich der Jugendliche äußern, werde dazu nichts bekanntgegeben.

Außerdem müsse auch bei einem 15-Jährigen geprüft werden, ob er genügend Reife gehabt habe, um seine mutmaßliche Tat auch einsehen zu können. Das gelte besonders bei einem so schweren Vorwurf, sagte Janke. Das soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft nun ein Gutachter klären. Dieser soll auch untersuchen, ob sich der Tatverdächtige bei der Tat in einem «psychopathologischen Zustand» befunden habe. In Deutschland sind Jugendliche ab 14 Jahren strafmündig.

An dem Totschlagsvorwurf habe sich bisher nichts geändert, erläuterte Janke. Sollte sich der Verdacht erhärten, drohe im Jugendstrafrecht eine Freiheitsstrafe von maximal zehn Jahren.

«Es werden Narben bleiben»

Auch für die nächsten Tage ist nach Angaben der Behörden geplant, die Schülerinnen und Schüler vor der Schule von ihren Klassenlehrern abholen und sie in die Klassenzimmer begleiten zu lassen. Schulpsychologen sind vor Ort. Es werde zunehmend Unterricht geben, sagte Werner Nagel vom Regierungspräsidium Freiburg. Allerdings gelte nach wie vor, die Schulgemeinschaft trauere um einen Mitschüler. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) soll am Mittwoch den Innenausschuss des Landtags über die Ermittlungen informieren.

Der Leiter des Polizeipräsidiums Offenburg, Jürgen Rieger, sagte, es sei kein einfacher Moment für ihn und seine Kollegen. «Weil das Mitgefühl dieser Tat bei den Jugendlichen, bei der Familie und den Schülerinnen und Schülern der betroffenen Schule natürlich liegt.» Es sei ein einschneidendes Erlebnis. «Es werden Narben bleiben.»


Bildnachweis: © Philipp von Ditfurth/dpa
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