In der Nacht zum 30. Oktober 2024 verwandelten sintflutartige Regenfälle ganze Landstriche der spanischen Region Valencia in ein Katastrophengebiet. Binnen Stunden ging so viel Regen nieder, wie sonst in einem Jahr. Dazu gab es teils orkanartige Winde und Hagel. Mehr als 220 Menschen starben, Tausende wurden verletzt oder obdachlos. Die wirtschaftlichen Schäden werden auf 17 bis 18 Milliarden Euro geschätzt. Straßen wurden fortgerissen, Fabrikhallen weggespült, Felder verwüstet. Die Bilder enger Dorfstraßen, durch die Wassermassen tosen, überschwemmter Vororte von Valencia, riesiger Schrottberge aus zusammen und übereinander gespülten Autos und verzweifelter Menschen vor ihren von Wasser und Schlamm verwüsteten Häusern gingen um die Welt. Zwölf Monate später sind Straßen zwar wieder passierbar, viele Geschäfte geöffnet, und das öffentliche Leben ist auf den ersten Blick weitgehend normal. Doch die Katastrophe hat tiefe Wunden hinterlassen – nicht nur in Landschaften, Häusern und Bilanzen, sondern auch im Vertrauen in die Institutionen. Hinter der Fassade der Normalität kämpfen viele immer noch mit den Folgen der Katastrophe. Für Tausende ist die Flut keine Erinnerung, sondern ein Ereignis, das ihr Leben dauerhaft verändert hat. Sie stehen vor einem Scherbenhaufen. Ohne Ersparnisse und ohne stabile Arbeit, oft ohne ein richtiges Zuhause. Wie etwa Paco. Der 34-Jährige muss mit Frau und den beiden Kindern in einem Zehn-Quadratmeter-Zimmer die Nächte verbringen, weil ihr Haus trotz der Hilfen bis jetzt nicht total instand gesetzt ist. «Ich habe Zukunftsangst und jede dritte, vierte Nacht Alpträume», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Paco geht es noch vergleichsweise gut. Nach Angaben der Stiftung Fundación Madrina sind rund 20.000 Familien noch immer auf Lebensmittelausgaben angewiesen, um über die Runden zu kommen. «Viele mussten die staatlichen Hilfen vollständig in den Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser stecken», sagte Stiftungsleiter Conrado Giménez dem TV-Sender Antena 3. Andere Helfer wie Isabel Caro erzählen von der Not. «Wir sehen vor allem Familien mit Kindern und ältere Menschen, die praktisch ohne Ressourcen dastehen.» Vor den Ausgabestellen bilden sich lange Schlangen. Auch José Ramón steht an. «Ich musste durchs Fenster fliehen, weil ich im Erdgeschoss wohnte», erzählte er Antena 3. Seine Wohnung wurde vollständig überflutet. Mit öffentlicher Hilfe und letzten Ersparnissen hat er sie notdürftig wieder aufgebaut. «Ich habe alles verloren - Kleidung, Möbel, Geräte. Jetzt bekomme ich hier Lebensmittel und Putzmittel. Ohne das ginge es nicht.» Auslöser des Dramas war eine «Dana», ein meteorologisches Phänomen, das vor allem im Herbst schwere Unwetter mit sintflutartigen Regenfällen und Sturzfluten verursacht, insbesondere im Mittelmeerraum. Es entsteht, wenn eine isolierte, sehr kalte Luftmasse in der Höhe auf warme, feuchte Luft in Bodennähe trifft. Wie schon bei anderen Naturkatastrophen verwiesen Experten auf den Klimawandel, der es wahrscheinlicher mache, dass es zu derart heftigen Unwettern komme, weil sich das Mittelmeer immer stärker erwärme und damit auch die bodennahe Luft, die mehr Feuchtigkeit aufnehme. Mehr als 300.000 Menschen waren direkt betroffen, über 11.000 Wohnhäuser unbewohnbar. Schulen und Krankenhäuser waren monatelang nur eingeschränkt nutzbar, tausende Familien lebten in Notunterkünften. Besonders ältere Menschen und Familien ohne Versicherungsschutz verloren nahezu alles. Gleichzeitig war die Welle der Solidarität überwältigend. Nachbarn, Freiwillige und NGOs organisierten Hilfslieferungen und Unterkünfte. «Ohne die Nachbarschaft hätten wir nicht überlebt», wurde María Torres, deren Haus in Alzira zerstört wurde, von Regionalmedien zitiert. Ein Jahr nach der Katastrophe kämpft ein Teil der Bevölkerung noch immer um Entschädigung. Auch für die Politik war das Unwetter eine Katastrophe. Die Regionalregierung unter Präsident Carlos Mazón steht seither massiv in der Kritik: Warnungen über die Handys seien zu spät erfolgt und Evakuierungen zu zögerlich organisiert worden, lauten die zentralen Vorwürfe. Zehntausende gingen seit der Flut immer wieder auf die Straße und forderten Mazóns Rücktritt. Der konservative Politiker räumte zwar «Fehler» ein, blieb aber im Amt. Die Berichte über Versäumnisse am Tag der Katastrophe wiegen schwer. Es läuft ein Strafprozess gegen damalige Verantwortliche. Obwohl schon am Nachmittag des 29. Oktobers erste Notrufe eingingen, wurde erst um 20.11 Uhr eine Warnung an alle Mobiltelefone der Gegend verschickt. Da standen viele Straßen schon unter Wasser, viele konnten nicht mehr fliehen. Um 16.41 waren die ersten Notrufe eingegangen über eingeschlossene Menschen in überfluteten Wohnungen oder auf Hausdächern und erste Tote. Bis sich der Krisenstab zu der Handy-Warnung durchrang, gab es rund 15.000 Anrufe bei der Notrufzentrale. Wegen der viel zu späten Warnung tragen viele der Demonstranten gegen Mazón seither Hemden mit der Aufschrift «20:11 Ni oblit ni perdó» (Valencianisch für «Kein Vergessen kein Vergeben»). Das Vertrauen vieler Menschen in die Institutionen hat gelitten. Die linke Zentralregierung in Madrid reagierte mit der Ankündigung eines großen Hilfsprogramms im Umfang von 10,6 Milliarden Euro. Später kamen noch weitere 1,35 Milliarden hinzu. Auch die EU mobilisierte Gelder, insgesamt knapp 1,6 Milliarden Euro aus verschiedenen Fonds. Doch bleibt die Kritik bestehen: Hilfen träfen zu langsam ein, ländliche Gemeinden fühlen sich abgehängt. Die wirtschaftliche Bilanz ist dramatisch: Die Gesamtschäden werden auf mindestens 17 bis 18 Milliarden Euro geschätzt. Betroffen waren nicht nur Wohnhäuser und Infrastruktur – über 141.000 Fahrzeuge wurden zerstört, 800 Kilometer Straßen und 550 Kilometer Schienen beschädigt. Besonders die Landwirtschaft litt: Zehntausende Hektar mit Zitrusfrüchten und Gemüse wurden vernichtet. Während Großbetriebe oft schneller Hilfen erhielten, kämpfen kleine und mittlere Unternehmen bis heute ums Überleben. Dennoch gibt es Lichtblicke: Bauwirtschaft und Dienstleistungssektor profitieren von den Investitionen in den Wiederaufbau. Der Valencia-Marathon am 1. Dezember 2024 brachte trotz Katastrophenstimmung fast geschätzte 40 Millionen Euro touristischen Umsatz in die Stadt, wie die Veranstalter berichteten. Neben den menschlichen und wirtschaftlichen Opfern sind die ökologischen Schäden gewaltig. Die Fluten spülten Industrieabwässer, Öle und Chemikalien in Flüsse und Feuchtgebiete. Böden wurden durch Schlamm und Erosion in Mitleidenschaft gezogen. Die entscheidende Frage ist, ob aus der Katastrophe Lehren gezogen werden: bessere Frühwarnsysteme, resilientere Infrastruktur, nachhaltige Stadt- und Regionalplanung. Denn Klimaforscher erwarten, dass wegen des Klimawandels solche Extremwetterereignisse in Spanien künftig häufiger auftreten werden.Die offenen Wunden
Mit Frau und Kindern auf zehn Quadratmetern
Tausende auf Tafeln angewiesen
«Dana» wurde nach dem Horror Wort des Jahres
Politisches Erdbeben ohne Rücktritt
Milliardenschäden und langsamer Aufschwung
Auch ökologische Wunden
Bildnachweis: © Alberto Saiz/AP/dpa
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Valencia ein Jahr nach der Flut: Wiederaufbau und Wut
Die Jahrhundert-Flut hat tiefe Spuren hinterlassen: Milliarden-Schäden, zerstörte Existenzen – und das Vertrauen in die Politik ist erschüttert. Die Betroffenen lassen sich nicht unterkriegen.
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