Wer möchte, kann der neuen Generation live beim Aufwachsen zusehen. Im Internet teilen viele ihr gesamtes Leben - und damit auch das ihrer Kinder. Ob Posts frisch nach der Geburt, Videoclips der ersten Schritte oder andere entscheidende Momente: Ist das problematisch? Gerade erst in der vergangenen Woche sorgt die US-Streamerin «Fandy» für Schlagzeilen, als sie die Geburt ihres Babys live mit ihren Followern teilt. Die ersten Sekunden des noch jungen Lebens präsentiert sie wie selbstverständlich ihren zigtausenden Zuschauern. Es gebe bereits eine Menge dokumentierte Geburten, rechtfertigt sich die zweifache Mutter. Es bestünde kein Unterschied zu diesen, nur weil die ihres Kindes live übertragen wurde. Auch in Deutschland ist das Thema längst präsent. Zu Beginn des Jahres etwa steht die Influencerin «Lala» in der Kritik, weil sie ihr Baby in ihren Videos nicht zensiert. Es sei an den Eltern abzuwägen, ob man seine Kinder zeige oder nicht, äußert sich die junge Mutter damals. «Fürs Kind wäre es am besten, nicht gezeigt zu werden», schreibt hingegen eine Userin dazu. Obwohl das Bewusstsein für mögliche Gefahren bei einigen Eltern steigt und sie ihre Kinder online zensieren, scheinen andere den Nachwuchs unbedingt mit der Welt teilen zu wollen. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur empfiehlt der promovierte Kinder- und Jugendpsychiater Daniel Illy in diesem Zusammenhang den Vergleich mit klassischen Fotoalben. Beim Teilen online sollten sich Eltern die Frage stellen: «Wem hätte ich dieses Fotoalbum vorgelegt?» «Kinderbilder gehören nicht ins Netz», rät auch das Bundeskriminalamt (BKA). Als Zentralstelle der Polizei ist es auch für die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch an Kindern zuständig. Mehr als 200.000 Hinweise auf kinderpornografisches Material gingen der Behörde zufolge vergangenes Jahr bei ihr ein. Darunter fallen demnach auch scheinbar harmlose Bilder, die mit Künstlicher Intelligenz so umgestaltet werden, «dass sie leicht bekleidete oder gar nackte Kinder abbilden.» Im Darknet werden solche Medien dann von pädokriminellen Tätern verbreitet, sexualisiert oder in einen sexuellen Kontext gestellt. Die Bundesregierung erklärt, «dass solches Material im Umlauf ist und dass die Menge des Materials grundsätzlich ansteigt.» Familien-Blogger teilen neben den großen Momenten auch den Alltag ihres Nachwuchses. «Sharenting» nennt sich das - eine Symbiose aus den englischen Begriffen für Erziehung und dem Teilen auf sozialen Medien. Doch die ständige Verfügbarkeit solcher Inhalte im Internet stellt eine erhebliche Herausforderung etwa für die Präventionstherapie von Pädophilen dar. Das teilt ein Sprecher von «Kein Täter werden» auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Das Präventionsnetzwerk unterstützt pädophile Menschen, damit diese gar nicht erst straffällig werden. In Deutschland fühlen sich Schätzungen zufolge bis zu ein Prozent der männlichen Bevölkerung zu Kindern hingezogen. Die meisten von ihnen bemühen sich nach Angaben des Netzwerks jedoch darum, unerkannt zu bleiben und ihre Vorlieben zu unterdrücken. Doch Kinder-Posts können demnach «ein Gefühl der Normalität schaffen» und so die Motivation zur Verhaltensänderung, die in Therapien angestrebt wird, untergraben. Auch die Anonymität im Netz senke die Hemmschwelle für den Konsum der Beiträge. Neben Eltern, die Beiträge teilen, gibt es allerdings auch Kinder und Jugendliche, die sich selbst im Netz präsentieren. Obwohl das Mindestalter bei den meisten Plattformen derzeit bei 13 Jahren liegt, sind viele Kinder-Influencer noch jünger. Vor einigen Jahren berichtet ein damals 11-jähriges Mädchen, das seinerzeit als Model-Influencerin online bekannt ist, wie ein Mann sich in den Account ihrer besten Freundin gehackt und sie angeschrieben habe. Er sei sexuell erregt und sie solle ihm Bilder schicken, hat er ihr zufolge gefordert. Heute findet man ihr Profil nicht mehr. Dieses Verhalten nennt man Cyber-Grooming - eine Anbahnung von sexuellem Kontakt mit Minderjährigen im Internet. Diese Straftat kann mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Erwachsene versuchen dabei, Kinder und Jugendliche in private Chats zu locken, setzen sie unter Druck und fordern intime Bilder. Kinder- und Jugendpsychotherapeut Illy hält nichts davon, dass jüngere Kinder ein Tiktok-Profil haben. «Wofür?» Insbesondere beim Posten von Babys stelle er sich die Frage: «Was bringt es dem Baby, dass es auf dem Foto im Internet ist?» Eigentlich ginge es dabei nur um die Eltern. «Das hat auf einem öffentlich zugänglichen Profil nichts zu suchen.» Ob man Kinder mit Bildbearbeitung unkenntlich machen oder Fotos von ihnen nur von hinten schießen sollte - das sind Fragen, auf die die Gesellschaft noch Antworten finden müsse, so Illy. Das Thema sei noch recht jung, sodass es bislang keine allgemeingültigen Normen gebe.Vom Urlaubsbild ins Darknet
Man macht es Pädophilen schwer und Straftätern leicht
Wenn Kinder sich selbst posten
Bildnachweis: © Arne Dedert/dpa
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