15. Dezember 2021 / Aus aller Welt

Warum Notfallreserven für Kliniken keine Entlastung bedeuten

Selbst in der vierten Corona-Welle sind noch Tausende Intensivbetten als Notfallreserve gemeldet. Würde man diese jedoch umfassend nutzen, hätte das laut Experten schwerwiegende Folgen.

Selbst in der vierten Corona-Welle sind noch Tausende Intensivbetten als Notfallreserve gemeldet. Würde man diese jedoch umfassend nutzen, hätte das laut Experten schwerwiegende Folgen.
von Sebastian Schlenker, dpa

Covid-Patienten werden von der Bundeswehr innerhalb Deutschlands verlegt, Dutzende planbare Operationen verschoben. Die Zahl der gemeldeten freien Intensivbetten fiel in Deutschland kürzlich auf den geringsten Stand in der Pandemie.

Zugleich weist die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) Mitte Dezember bundesweit noch mehrere Tausend Intensivbetten als Notfallreserve aus. Was bedeutet das?

Nach Angaben des wissenschaftlichen Leiters des Divi-Intensivregisters, Christian Karagiannidis, sind bundesweit bereits Hunderte sogenannte High-Care-Betten aus der Reserve aktiviert worden. Zugleich macht er aber auch deutlich: «Würde man die komplette Notfallreserve aktivieren, müsste man das ganze Krankenhaus in den Notfallbetrieb versetzen. Das wäre ein Kahlschlag und hätte Auswirkungen auf alle Abteilungen.»

Folgen für alle Patienten

Die Folge: Eine schlechtere Behandlungsqualität für alle anderen Patienten und noch mehr verschobene OPs, ist Karagiannidis überzeugt. Wichtig ist es deshalb zu verstehen, was sich hinter der Notfallreserve verbirgt. Die Kliniken in Deutschland melden dem Intensivregister damit ihre verfügbaren Kapazitäten an Intensivbetten und Mitarbeitern, die sie bei dringendem Bedarf innerhalb von sieben Tagen zusätzlich einsetzen können. Die Angaben beruhen auf täglichen Meldungen der einzelnen Intensivstationen. Der Mindeststandard dafür sei ein Bett, ein Beatmungsgerät, Sauerstoff, ein Monitor und Geräte zur Medikamentengabe, erklärt Karagiannidis.

Betrieben werden sollte das Intensivbett von in ähnlichen Bereichen ausgebildetem OP-Pflegepersonal, so Karagiannidis. Um Betten aus der Notfallreserve zu betreiben, müsse aber erst Personal aus anderen Bereichen der Klinik abgezogen werden.

Auch der Mediziner Max Geraedts vom Institut für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie der Universität Marburg sagt, das Personal für die Notfallversorgung könne nur von planbaren OPs, die abgesagt oder ausgefallen seien, rekrutiert werden. Und das finde auch jetzt schon statt.

In enger Absprache

Ob die Notfallreserve aktiviert wird und in welchem Umfang das geschieht, entscheiden die Kliniken nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, etwa auch in Absprache mit umliegenden Krankenhäusern selbst. In manchen Bundesländern gebe es auch Anweisungen der Regierung dazu, die die Kliniken dann umsetzen müssten, sagt Karagiannidis.

Dennoch ist es für Gaß und seine Kollegen vom Divi-Intensivregister wichtig zu wissen, wie viele Kapazitäten im Ernstfall vorhanden sind. Auch deshalb habe man die Kliniken erneut darauf hingewiesen, die Angaben zur Notfallreserve so präzise und aktuell wie möglich zu halten.

Auswirkungen hat die anhaltend hohe Auslastung der Kliniken nicht nur für Patienten sondern bekanntlich in vieler Hinsicht auch auf das Personal. Aktuell nähmen Spannungen zwischen den Kliniken zu, berichtet Karagiannidis. Es werde immer schwieriger, selbst für junge Patienten einen Intensivversorgungsplatz zu bekommen. Die Teams in den Kliniken müssten aktuell viel Zeit am Telefon verbringen, bis sie endlich ein freies Bett für ihre Patienten finden würden.

Doch mehr Sorgen bereitet dem Intensivmediziner bereits eine andere Entwicklung. «Sollte die Omikron-Variante nur halb so krank machen wie die Delta-Variante, stehen wir in der Intensivversorgung vor einer großen Überforderung, weil die Variante wahnsinnig schnell kommt», sagt Karagiannidis mit Blick auf die laut mehreren Analysen ansteckendere neue Variante des Coronavirus.


Bildnachweis: © Matthias Balk/dpa
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