Eine Krankheit, die ihr Opfer zum Chef werden lässt: An Toxoplasmose erkrankte Grauwölfe werden wesentlich häufiger zu Rudelführern als nicht infizierte Artgenossen. Das berichten US-amerikanische Wissenschaftler im Fachblatt «Communications Biology». Der Neuroparasit mache die Tiere wohl aggressiver, was im Kampf um die Führung von Vorteil sein könne. Mit dem Einzeller Toxoplasma gondii infizierte Wölfe werden demnach mit 46 mal größerer Wahrscheinlichkeit Rudelführer. Schon für viele Tierarten ist bekannt, dass eine solche Infektion ihr typisches Verhalten stark verändert. Ob der Neuroparasit auch beim Menschen Verhaltensänderungen bewirkt, wird noch kontrovers diskutiert. Studien berichten unter anderem von einem rücksichtloseren Verhalten im Straßenverkehr bei Infizierten, einem größeren Drang zu Unternehmertum sowie von einem Zusammenhang zu pathologischem Jähzorn. All diese Untersuchungen zeigen allerdings nur Korrelationen, keinen ursächlichen Zusammenhang. Klar ist hingegen, dass der mit dem Malaria-Erreger verwandte Parasit bei den meisten Menschen keine Symptome oder nur leichtes Fieber auslöst und weit verbreitet ist. Es wird davon ausgegangen, dass 30 Prozent der Weltbevölkerung infiziert sind. Eine Studie des Robert Koch-Instituts ergab, dass die Hälfte der Deutschen entsprechende Antikörper im Blut hat, bei den über 50-Jährigen sind es sogar 70 Prozent. Für die aktuelle Studie hatte das Team um die US-Biologen Connor Meyer und Kira Cassidy Daten zum Verhalten und der Verteilung von Grauwölfen (Canis lupus) analysiert, die zwischen 1995 und 2020 im Yellowstone-Nationalpark im US-Bundesstaat Wyoming gesammelt wurden. Zusätzlich nahmen sie Blutproben von 229 betäubten Tieren, die sie auf Antikörper gegen Toxoplasma gondii untersuchten. Eigentlicher Endwirt des Neuroparasiten sind Katzenartige (Feliformia) - in Yellowstone leben auch Pumas, deren Verbreitung ebenfalls erfasst wurde. Darüber hinaus wurden Blutproben von 62 der Raubkatzen untersucht. Die Biologen fanden heraus, dass Wölfe in Gebieten mit höherer Pumadichte mit größerer Wahrscheinlichkeit mit T. gondii infiziert waren als Wölfe, die nicht in der Nähe von Pumas lebten. Vor allem aber beobachteten sie, dass sich infizierte Wölfe risikoreicher verhielten. Dies äußerte sich zum einen in einer größeren Wahrscheinlichkeit, das Rudel früher zu verlassen, sowohl bei Männchen als auch Weibchen. Ein Verhalten, das mit Blick auf die Verbreitung des Erregers durchaus Sinn hat: Der Erreger gelange so eher in Gegenden, in denen er zuvor noch nicht kursierte. Zum anderen beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass positiv auf T. gondii getestete Wölfe viel häufiger Rudelführer wurden. Der Parasit könnte die Testosteron-Level der Tiere erhöhen, vermuten sie. Mehr Risiken hinnehmende Anführer wiederum könnten ihre Gruppe eher in Gebiete führen, die sich mit Pumas überschneiden - wodurch der Parasit neue Chancen auf Ansteckungen bekomme. Die Studie zeigt nach Angaben der Autoren erstmals, dass eine Parasiteninfektion das Verhalten von Wölfen beeinflussen kann. Für andere Arten ist schon länger gezeigt, wie effektiv T. gondii seinen Zwischenwirt in die Nähe von Katzenartigen lotst: Infizierte Mäuse und Ratten etwa fühlen sich vom Geruch von Katzenurin magisch angezogen und laufen ihren Fressfeinden buchstäblich ins Maul. Einen ähnlichen Mechanismus beobachtete ein Forschungsteam bei Schimpansen: Erkrankten diese an Toxoplasmose, übte Leopardenurin eine morbide Anziehungskraft auf sie aus. Und im vergangenen Jahr berichteten US-amerikanische Forscherinnen im Fachblatt «Nature Communications», dass eine Infektion Tüpfelhyänen-Welpen wesentlich sorgloser macht. Anstatt im sicheren elterlichen Bau zu bleiben, kommen sie Löwen gefährlich nahe - zu nahe: Infizierte Welpen würden wesentlich häufiger getötet, so die Wissenschaftlerinnen.Untersuchung im Yellowstone-Nationalpark
Push für die Testosteron-Level
Picture credit: © Ingo Wagner/dpa
Copyright 2022, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten
Karrierekick: Parasit macht Wölfe zu Rudelführern
Er führt Mäuse direkt vors Katzenmaul und lässt Hyänenwelpen tödlich leichtsinnig werden: Der Erreger der Toxoplasmose verändert das Verhalten von Tieren - und wohl auch des Menschen - zu seinen Gunsten.
Meistgelesene Artikel
- 10. April 2024
Sprechstunde der AWO-Wohnberatung am 24. April
Auch im Alter möglichst lange und selbständig in der vertrauten Umgebung zu leben: Das wünschen sich wohl die meisten...
- 5. April 2024
Zwei Kater an der Marienstraße zugelaufen
Der Stadtverwaltung sind zwei schwarz-weiße Kater als zugelaufen gemeldet worden. Beide Tiere sind ca. eineinhalb Jahre...
- 9. April 2024
„Treffpunkt Lesen & Geselligkeit“ am 18. April
Wer gerne liest und sich mit anderen über gelesene oder neue Bücher austauschen möchte, ist herzlich zum...
Neueste Artikel
- 2. Mai 2024
Schäden nach Starkregen und Gewittern
Wasser in Kellern und auf Straßen, Blitzeinschläge, Zugausfälle: Vor allem im Westen Deutschlands sorgen Gewitter und Starkregen für Schwierigkeiten.
Beschäftigte von Bahnunternehmen geben bei einer Umfrage Einblick in ihren Arbeitsalltag. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft will Konsequenzen und droht. Die Bahn sagt: Zur EM wird aufgestockt.
Weitere Artikel derselben Kategorie
- 2. Mai 2024
Schäden nach Starkregen und Gewittern
Wasser in Kellern und auf Straßen, Blitzeinschläge, Zugausfälle: Vor allem im Westen Deutschlands sorgen Gewitter und Starkregen für Schwierigkeiten.
Beschäftigte von Bahnunternehmen geben bei einer Umfrage Einblick in ihren Arbeitsalltag. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft will Konsequenzen und droht. Die Bahn sagt: Zur EM wird aufgestockt.