1. Oktober 2021 / Aus aller Welt

Polizei ringt nach Mordfall Everard um Vertrauen

Ist der Mörder von Sarah Everard nur «ein fauler Apfel» im britischen Polizeiapparat? Zahlen sprechen eine andere Sprache. Spitzenbeamte kündigen Untersuchungen und Reformen an. Aber hilft das?

von Benedikt von Imhoff, dpa

Mein Polizist, ein Mörder? Der aufsehenerregende Mordfall Sarah Everard hat Urängste bei vielen Menschen in Großbritannien geweckt und das Vertrauen in die Polizei erschüttert.

Ein Londoner Polizist missbrauchte Amt und Ausrüstung, um die 33-jährige Everard zu verschleppen, zu vergewaltigen und zu töten. Zwar handelt es sich um einen Sonderfall. Doch abschwächende Kommentare über einen «faulen Apfel» im System scheinen deutlich zu kurz zu greifen, wie Aussagen ehemaliger Spitzenbeamter sowie Zahlen zu internen Ermittlungen nun zeigen. Die Bobbys, so der freundliche Spitzname der britischen Schutzpolizisten, stecken in der Krise.

Toxische Atmosphäre bei der Polizei

Wie die Zeitung «i» am Freitag berichtete, gab es in den vergangenen elf Jahren gegen mehr als 750 Beschäftigte der Met Police, der Londoner Polizei, Vorwürfe wegen sexuellen Fehlverhaltens. 83 seien entlassen worden. 163 Met-Beamte seien wegen Sexualdelikten festgenommen worden, 38 wurden verurteilt. Und das sind nur die Zahlen für die Hauptstadt.

Ehemalige Spitzenkräfte sprechen von einer verdorbenen Kultur innerhalb der Behörde. Die Met Police sei «sehr sexistisch und frauenfeindlich», sagte die ehemalige Hauptkommissarin Parm Sandhu der BBC. «Viele Frauen werden ihre Kollegen nicht melden.» Denn sie müssten befürchten, dass sie dann im Notfall von anderen männlichen Kollegen im Stich gelassen würden, meint Sandhu.

Frauenfeindliches Verhalten

Everards Mörder war am Donnerstag zur Höchststrafe verurteilt worden und soll nie wieder aus dem Gefängnis frei kommen. Tatsächlich hätte er früher auffallen können oder sogar müssen, wie mehrere britische Medien berichteten. So seien Anzeigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses nicht konsequent verfolgt worden. Nach Informationen der «Times» verbreiteten fünf Kollegen in Chats mit dem Familienvater sexistische, homophobe und rassistische Nachrichten. Noch erschreckender: Der 48-Jährige war offenbar im Kollegenkreis unter dem Spitznamen «the rapist» bekannt - «der Vergewaltiger». Grund sei sein aufdringliches Verhalten gegenüber Frauen gewesen, so die «Sun».

«Das ist etwas, das im Rahmen unserer Lehren über diesen schrecklichen Vorfall untersucht und verstanden werden muss», sagte der zuständige Staatssekretär Kit Malthouse der BBC. Ebenso unter die Lupe genommen werden soll, warum einige Vorfälle nicht bei der Einstellung des Mannes 2018 bekannt wurden.

Weil sich der Täter als Zivilbeamter ausgegeben hatte, sollen nicht uniformierte Polizisten nur noch als Zweierstreife unterwegs sein. Um die Bevölkerung zu beruhigen, sollen künftig Kontrollanrufe erlaubt sein, um die Identität eines Beamten in der Zentrale zu verifizieren. Weitere Tipps der Met, die 650 zusätzliche Beamte an öffentlichen Orten einsetzen will: Einen Bus oder Passanten anhalten, an Türen klopfen oder den Notruf wählen. «Für Tausende und Abertausende Polizisten da draußen, die härter arbeiten müssen - viel härter -, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, ist es eine sehr, sehr schwierige Zeit», so Malthouse.

Kritik an Polizeichefin

Die Londoner Polizei steht nicht erst seit dem Fall Everard unter Druck. Zwei Beispiele aus jüngerer Zeit: Beamte machten Selfies mit den Leichen zweier ermordeter Frauen in einem Park - und verschickten die Fotos. Und eine Frau erhielt eine Geldstrafe, weil sie «wertvolle Polizeiarbeitszeit» missbraucht habe, als sie fünf Mal anrief, um Missbrauch anzuzeigen - später wurde sie von dem Mann, den sie melden wollte, getötet. Jüngst sorgte für Wut und Entsetzen, dass keine 200 Tage nach dem Mord an Sarah Everard erneut eine junge Frau in London ermordet wurde.

In den Fokus rückt nun erneut Londons Polizeichefin Cressida Dick, deren Vertrag erst vor kurzem um zwei Jahre verlängert wurde. Geradezu genüsslich erinnerte das Online-Portal «Politico» an Skandale, in die Dick verwickelt war. So leitete sie den Antiterroreinsatz, bei dem 2005 versehentlich ein unschuldiger Brasilianer in der Londoner «Tube» getötet wurde. Ebenso war sie führend bei einer Untersuchung wegen Kindesmissbrauchs, die auf falschen Behauptungen eines Zeugen basierte und Hunderte Unschuldige in Verruf brachte.

Die Zahl der tödlichen Messerattacken in London ist mittlerweile auf den höchsten Stand seit 13 Jahren gestiegen, nur bei jeder zwanzigsten Vergewaltigung wird ein Verdächtiger angeklagt. Bisher aber hält Innenministerin Priti Patel ebenso an Dick fest wie Premierminister Boris Johnson und Oppositionsführer Keir Starmer.


Bildnachweis: © Vuk Valcic/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa
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