29. Januar 2022 / Aus aller Welt

Der Fall Aksu - Hat die Kunst gegen Erdogan gesiegt?

Sezen Aksu ist eine der beliebtesten Künstlerinnen der Türkei. Präsident Erdogan greift sie an, bringt zahlreiche Menschen gegen sich auf - und rudert zurück. Was der Fall Aksu über die Kunstfreiheit in der Türkei sagt.

Die türkische Sängerin Sezen Aksu bei einem Konzert in Berlin 2009.
von Anne Pollmann, dpa

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist bekannt für scharfe Rhetorik gegen Kritiker, die ihm ein Dorn im Auge sind.

Doch über die Reaktion auf seine jüngste Tirade gegen die Pop-Ikone Sezen Aksu - von zahlreichen Menschen in der Türkei verehrt - dürfte auch er selbst erstaunt gewesen sein. Haben die Künstler im Land gegen den Präsidenten gesiegt?

Harsche Kritik von Erdogan

Die Geschichte beginnt mit einem Lied aus dem Jahr 2017. In «Sahane bir sey yasamak» singt Aksu «Grüßt mir die Ignoranten, Adam und Eva». Adam gilt im Islam als Prophet. Zu Neujahr veröffentlichte die Pop-Diva eine neue Version des Songs - und brachte regierungsnahe religiös-konservative Gruppen gegen sich auf. Einige zogen zum Protest vor das Haus der 67-Jährigen. Aksu beleidige religiöse Werte, so der Vorwurf. In einer Rede in einer Moschee drohte Erdogan dann, niemand dürfe schlecht über Adam und «Mutter Eva» sprechen. «Es ist unsere Pflicht, diese Zungen herauszureißen, wenn nötig.» Auch wenn er den Namen Aksus nicht erwähnte, hagelte es prompt Kritik an den brutalen Worten - teilweise auch aus den eigenen Reihen.

Die Feindlogik spaltet die Gesellschaft

Die Worte des Präsidenten seien ein Paradebeispiel für Hassrede, sagt Mahmut Cinar, Musiker und Mitglied der Vereinigung Art Interrupted, die sich mit Themen rund um die Einschränkung der Kunstfreiheit beschäftigt. Repression sei in der Türkei nichts Neues oder allein der regierenden AKP anzukreiden. Neu sei allerdings, dass die Regierung offen für die Werte radikal-islamischer und konservativer Gruppierungen eintrete und diese Künstlern aufzudrücken versuche. 2017 hatte Erdogan in einer Rede etwa bedauernd festgestellt, dass man zwar die Macht über die Politik habe, nicht aber über die Künste. Die Attacke gegen Aksu sei als Nachricht an konservativ-religiöses Wählerklientel gedacht gewesen, sagt Cinar. Mit dieser Feindlogik versuche Erdogan, die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben und mehr Wähler auf sich einzuschwören.

Doch dieses Ziel scheint Erdogan mit der Attacke nicht ganz erreicht zu haben. Yasin Aktay, ein Berater Erdogans, schrieb in der regierungsnahen Zeitung «Yeni Safak», ein großer Teil konservativer religiöser Gruppen sei der Ansicht, Aksu habe eine solche Reaktion nicht verdient. «Sezen Aksu hat einen großen kulturellen Wert in der Türkei, Menschen mögen sie über viele politische Lager hinweg», sagt Naci Tepedelen. Tepedelen ist Musiker und forscht unter anderem zu der Frage, welche Rolle religiöse Klänge in der heutigen Türkei spielen.

Dass der Präsident mit der Drohung gegen eine der beliebtesten Künstlerinnen des Landes eine rote Linie überschritten haben könnte, wurde wohl auch seinem direkten Umkreis prompt klar. Medienberichten zufolge wollte der Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun Erdogans Aussagen noch einfangen. Journalisten, die während der Rede in der Moschee waren, habe er angewiesen, die Aksu-Sätze nicht zu zitieren. Doch Videos des Auftritts verbreiteten sich schnell.

Ganz auf Linie verhielt sich die Rundfunkbehörde des Landes. Der Vize-Präsident von RTÜK - eigentlich als unparteiische Organisation gegründet - musste sich gegen Kritik verteidigen, nachdem er sich durch Sender telefoniert und gefordert hatte, von nun an nur Musik zu spielen, die in Einklang mit moralischen und nationalen Werten stünde. Ein wohlgemeinter Rat sei das gewesen, um die Sender vor Strafen zu schützen, argumentierte der Vize später.

Kunst ist stärker als Propadanda

Aksu hat mittlerweile mit einem Gedicht auf die Anfeindungen reagiert. Der Titel: Jäger. Darin schreibt sie: «Ich bin die Beute, du der Jäger. Los, schieß schon. (...) Du kannst mich nicht töten. Ich habe meine Stimme, mein Instrument und mein Wort. Und wenn ich ich sage, meine ich uns alle.»

Mehr als 200 Künstler haben eine Erklärung unterschrieben, in der sie sich mit Aksu solidarisieren. Die Anwaltsvereinigung von Izmir etwa nannte Erdogans Aussagen «Lynchbegriffe» und warf ihm eine totalitäre Gesinnung vor. Die Pop-Diva anzugreifen, sei ein großer Fehler Erdogans gewesen, meint Cinar. Den musste sich der Präsident offenbar auch eingestehen. Tage später ruderte er in einem TV-Interview zurück und behauptete, seine Worte hätte sich gar nicht auf Aksu bezogen.

Erdogans Zurückrudern zeige, dass Kunst in der Türkei unglaublich stark sei, all den Repressionen zum Trotz, meint Cinar. «Sie ist immer noch so stark, dass sie sogar den Präsidenten dazu bringt, innezuhalten, nachzudenken und etwas zu bereuen.» Der türkische Star-Pianist Fazil Say hat bereits angekündigt, Musik zum Gedicht von Aksu zu komponieren. Er werde sich alle Mühe geben, dabei laizistisch zu sein, schrieb er auf Twitter.


Bildnachweis: © Mesut Hastürk/dpa
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