24. Juli 2022 / Aus aller Welt

«Handtuchkriege» am Hotel-Pool: Klischee und Wirklichkeit

Endlich Urlaub: Hotels sind voll und damit kehren Unsitten wie das Besetzen von Sonnenliegen am frühen Morgen zurück. Und das könnte in diesem Jahr besonders problematisch werden.

Viele Urlauber
von Christiane Oelrich, dpa

Wer kennt nicht die Geschichten von frühmorgens am Hotelpool: Sobald die Anlage öffnet, stürzen Dutzende Urlauberinnen und Urlauber los und besetzen mit Handtüchern Sonnenliegen.

Bloß erstmal die besten Plätze sichern, dann gemütlich frühstücken oder gar nochmal ins Bett. Hauptsache, das Territorium ist abgesteckt, auch wenn man erst Stunden später zum Sonnenbaden kommt. «Handtuchkrieg» heißt das. Das Phänomen ist zwar uralt, aber in diesem Jahr könnte es besonders viel Ärger auslösen.

«Die Menschen haben durch die Corona-Pandemie lange auf ihren Urlaub gewartet und haben vielleicht noch mehr als vorher das Gefühl, sie müssten alles aus dem Urlaub herausholen», sagt Tourismus-Experte Alexis Papathanassis. «In vielen Urlaubsländern gibt es aber einen Fachkräftemangel in der Hotellerie, da wird es Einschränkungen bei den Dienstleistungen geben. Wenn die Leute deshalb schon unzufrieden sind, gewinnen kleine Ärgernisse wie besetzte Sonnenliegen zusätzlich an Bedeutung.» Papathanassis, Rektor der Hochschule Bremerhaven und Professor für Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik und Touristik/Seetouristik, hat das Phänomen erforscht.

Einsatz der Pool-Polizei

Der Frühsport in Badelatschen gehört auf Ferieninseln wie Mallorca oder Teneriffa auch 2022 zu den Badeferien. Ein Hotel auf Teneriffa hat deshalb einen «Pool-Sheriff» im Einsatz, wie es in einem Video auf TikTok zeigt: Der räumt die reservierten Sonnenliegen morgens wieder leer, weil Reservierungen vor zehn Uhr in der Anlage verboten sind. Unterlegt ist der Sheriff-Einsatz mit einem Lied von Bonnie Tyler «Holding out for a Hero» - «Ich warte auf einen Helden». Das Hotel reagierte damit auf das Video einer Urlauberin, die eine Aufräumaktion dort gefilmt hatte. «Klasse, ich habe so die Nase voll von Leuten, die die Regeln missachten und niemand unternimmt etwas!», schrieb jemand zum Video der Urlauberin.

Für Hotels ist das Ganze ein kniffliges Problem. Sie wollen ja rundum zufriedene Gäste - dazu gehören auch die, die sich morgens an dem Run auf die Sonnenliegen beteiligen. Ferienveranstalter und Hotelketten reagieren zugeknöpft auf Anfragen, wie sie damit umgehen. «Zum Thema „Reservieren von Pool-Liegen“ gibt es keinen Leitfaden oder dergleichen von Accor», teilt die gleichnamige Hotelkette mit.

Der Reiseanbieter Tui sagt, in seinen Hotels gebe es meist genügend Sonnenliegen für alle. Das Personal stelle auch gerne zusätzliche Liegen auf oder helfe, Liegen freizuräumen, die augenscheinlich nicht mehr genutzt werden, so Sprecher Aage Dünhaupt. In manchen Hotelanlagen könne man sich gegen Geld auch eine luxuriösere Liege mit eigenem Sonnendach reservieren, das werde immer beliebter. Bei Club Med gebe es auch meist genügend Liegen, sagt eine Sprecherin. In kleineren Anlagen sei es untersagt, Liegen zu reservieren.

Wissenschaftlicher Ansatz

Tourismusexperte Papathanassis befasste sich 2019 zusammen mit Stephanie Boecker in einem wissenschaftlichen Sammelband mit dem Handtuch-Krieg. Sie werteten Dutzende Online-Quellen und Nutzerkommentare aus und führten Interviews mit 28 Touristen. Sie kamen zu dem Schluss, dass viele Urlauber wegen der Medienberichte mit einer Sonnenliegen-Knappheit geradezu rechnen. Sie würden sich deshalb von vornherein auch Liegen am Pool reservieren.

«Das ist ein bisschen wie mit dem Klopapier-Hamstern zu Beginn der Corona-Pandemie», sagt Papathanassis. «Leute hören, dass angeblich etwas knapp ist, und verhalten sich dann so, dass es wirklich knapp wird.» Zudem gingen viele Leute davon aus, dass alle anderen genauso denken wie sie selbst. Ein Bedürfnis nach Routine und Sicherheit werde auch als Grund für die Besetzung von Liegen genannt.

Die Deutschen und ihr Ruf

Briten verunglimpfen Deutsche gerne als «beach towel brigade» - Strandhandtuch-Brigade. Vor Jahren hat eine britische Brauerei das in einem Werbespot verulkt: Während ein Pulk beleibter Deutscher aufgeregt zum Pool rennt, schleudert ein cooler Brite eine Handtuchgranate aus dem Fenster. Sie springt wie ein flacher Stein über den Pool, landet auf einer Sonnenliege und das Handtuch entrollt sich elegant mit einer Bierdose darin.

Auch die Schweizer Fluggesellschaft Swiss nahm die Deutschen mit einer Werbeaktion aufs Korn. Sie schickte Schauspieler in den bunten Uniformen der Schweizergarde, die eigentlich den Vatikan bewacht, 2016 an den Strand von Palma de Mallorca, um die von Deutschen reservierten Liegen zu bewachen und dazu kühle Getränke zu reichen.

Die Club Med-Sprecherin sagt: «Je mehr deutsche Gäste, desto mehr Liegen werden reserviert - im Club Med Kamarina ist das Verbot sogar der einzige Hinweis im Resort, der auch auf Deutsch übersetzt wurde.» Das Klischee, dass es immer nur die Deutschen sind, stimmt aber nicht: Die Briten seien auch «erbitterte Akteure im Handtuchkrieg», schrieb die Hotelkette Accor in ihrem Magazin. Papathanassis und sein Team machten auch Franzosen, Griechen und Briten als Liegen-Besetzer aus.

Angst vor Konfrontation an der Sonnenliege

Viele Menschen scheuen sich, besetzte Liegen selbst zu räumen. Das passiere «aus Angst vor einer Konfrontation mit einem wütenden Sonnenliegen-Blockierer», schrieben Papathanassis und sein Team. Das führe aber zu Frust. Die meisten Leute fänden deshalb klare Regeln, die wie auf Teneriffa auch durchgesetzt werden, gut. Für manche sei das Spektakel um besetzte Liegen auch amüsant. Sie «sehen ihren Urlaub durch die Aufregung einer Konfrontation bereichert», heißt es.

Papathanassis findet, dass Thema werde künstlich aufgebauscht. «Ich forsche auch zu Steuerhinterziehung und Geldwäsche, oder Alkohol und Kriminalität bis zu sexueller Gewalt in der Tourismusbranche. Das sind wirklich skandalöse Themen, die man angehen müsste - aber die größte Resonanz gibt es bei Handtuch-Kriegen. Dabei ist das ein Thema, dass nun wirklich keine Top-Priorität im Tourismussektor hat.»


Bildnachweis: © Sabine Dobel/dpa
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