6. Januar 2022 / Aus aller Welt

Verliert Corona durch Omikron mittelfristig an Schrecken?

Omikron war schon kurz nach seiner Entdeckung ein Angstmacher und Launeverderber. Inzwischen gibt es immer mehr Erkenntnisse. Kann die Variante sogar der Anfang vom Ende der Pandemie sein?

An einem Computermonitor wird in einem Sequenzierlabor nach neuen Varianten und Mutationen des Coronavirus gesucht.
von ?Marco Krefting, dpa

Ist es nach zwei Jahren Pandemie soweit, dass wir nun ein weiteres Fachwort öfters hören müssen - oder dürfen?

Das Coronavirus soll «endemisch» werden - und zwar möglichst bald. «Das bedeutet, dass das Virus keine relevante Bedrohung mehr für das Gesundheitssystem darstellt», erklärte Michael Weber, der Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, kürzlich in der «Welt am Sonntag». Könnte die neue Variante Omikron, die sich gerade rasant in Deutschland verbreitet, die Wende zum Guten bringen?

Die wichtigsten Fakten zu Omikron

Die Variante wurde im November aus Südafrika gemeldet. Laut Robert Koch-Institut (RKI) hat sie eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen im sogenannten Spike-Protein, einem Baustein des Virus. Einige der Mutationen sind relevant etwa mit Blick auf die Übertragbarkeit, die bei Omikron besonders hoch ist. Gleichzeitig gehen Experten davon aus, dass die Variante mildere Krankheitsverläufe verursacht. Zudem ist die Wirksamkeit der Impfstoffe Studien zufolge bei Omikron abgeschwächt.

Die Hoffnungsträger

Auch wenn erst wenige Studien zu Omikron vorliegen und die Lage in Deutschland nur bedingt mit der in anderen Ländern vergleichbar ist, mehren sich die Stimmen, die mittelfristig von etwas Entspannung durch Omikron ausgehen. Die Idee dahinter: Durch Omikron könnte - das ist aber bislang nur eine Hypothese - eine endemische Situation näher rücken. Die hohe Übertragbarkeit könnte dazu führen, dass die Bevölkerung als Ganzes vergleichsweise schnell eine höhere Immunität erreicht. Im Idealfall könnten die milderen Verläufe Druck vom Gesundheitssystem nehmen.

«Endemische Situation heißt, dieses Virus wird zu einem Erkältungsvirus wie viele andere auch», sagte der Berliner Virologe Christian Drosten kurz vor dem Jahreswechsel im ZDF. «Wie übrigens vier weitere Coronaviren in der Vergangenheit schon.» Es sei eine gute Situation, wenn ein Virus nicht mehr so krank macht, aber gut übertragbar sei und Immunitätslücken in der Bevölkerung schließe. Wenn sich das Virus im Jahresverlauf nicht erheblich ändere, dürften wir «einen relativ normalen Winter» haben - wie in Zeiten schwerer Grippewellen.

Die Ansteckung

Auf Grundlage von Daten etwa aus Dänemark, Südkorea und Großbritannien kann Omikron laut Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen als etwa 2,5- bis 3,5 Mal infektiöser als die Delta-Variante eingestuft werden. Laut einer gerade im Preprint - also ohne Überprüfung von Fachkollegen - veröffentlichten Studie aus Dänemark war Omikron in Haushalten, in denen nur Doppelt-Geimpfte oder nur Geboosterte lebten, deutlich übertragbarer, so Zeeb. Diese Studie zeige aber auch, dass Geboostere das geringste Übertragungsrisiko aufwiesen, Ungeimpfte das höchste.

Drosten sprach im Deutschlandfunk kürzlich davon, dass sich die Zahl der Infektionen in Deutschland in etwa alle vier Tage verdopple. Das wäre erheblich langsamer als zum Beispiel in Großbritannien. Wegen der Feiertage und den Weihnachtsferien ist die Datenlage in Deutschland aber derzeit noch nicht wieder aussagekräftig.

Erste Zahlen deuten darauf hin, dass die Inkubationszeit - also die Zeit zwischen der Infektion und dem Auftreten erster Symptome - bei Omikron kürzer sein könnte als bei anderen Corona-Varianten, wie der Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, Jörg Timm, jüngst in einer Videokonferenz des Science Media Centers (SMC) sagte. Eine belastbare Aussage sei derzeit aber noch nicht möglich. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck sagte bei RTL vor kurzem, wegen der verkürzten Inkubationszeit sei ein explosionsartiger Anstieg der Fälle zu erwarten, was zu Problemen im Gesundheitsbereich aber etwa auch der sogenannten kritischen Infrastruktur führen könnte.

Der Verlauf

Lungenzellen lassen sich Timm zufolge nach bisherigen Erkenntnissen nicht so gut mit Omikron infizieren wie die Zellen der oberen Atemwege, also in Nase und Rachen. Entsprechende Ergebnisse aus Versuchen im Labor an Zellkulturen und im Tiermodell deckten sich mit ersten Informationen aus den Kliniken. «Das bedeutet, dass die Schwere der Erkrankungen mit Omikron abgenommen hat», sagte Timm. Es bedeute aber nicht, dass eine Erkrankung keine Rolle mehr spiele. Das sei nicht Schwarz-Weiß, so müssten zum Beispiel nach wie vor Risikofaktoren jedes Einzelnen berücksichtigt werden.

Die Schwere der Erkrankung - gemessen am Anteil der Infizierten, die ins Krankenhaus müssen - ist nach Daten des Imperial College bei Omikron im Vergleich zu Delta um 20 bis 45 Prozent geringer, wie Zeeb deutlich machte. Interessant auch in Hinsicht auf die Frage nach dem Übergang zur Endemie sei, dass das Hospitalisierungsrisiko nach einer durchgemachten Infektion oder nach der Impfung sogar noch deutlich geringer sei. Das spreche für eine abnehmende Schwere durch Immunisierung, erläuterte er.

Allerdings könnten bei Ansteckungsinzidenzen von über 1000 durchaus wieder ähnlich viele Covid-Erkrankte in Kliniken gebracht werden wie in der Delta-Welle, machte Andreas Schuppert vom Institute for Computational Biomedicine an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen bei der SMC-Konferenz deutlich und ergänzte: «Wir reden über Zahlen, die in Europa realistisch sind.»

Die großen Abers

Auch ein vergleichsweise milder Verlauf muss nicht ohne sein. «Mild heißt nicht harmlos», betonte der Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing, Clemens Wendtner, der im Frühjahr 2020 die ersten Corona-Fälle in Deutschland behandelt hatte. So gebe es noch keine Erkenntnisse über Long-Covid-Verläufe bei Omikron.

Auffallend hoch seien die Impfdurchbrüche bei Omikron, sagte Schuppert. Selbst Geboosterte seien wohl nur noch zu 76 bis 82 Prozent geschützt. Gegen Delta habe der Schutz um die 95 Prozent betragen. Der Impfschutz vor schweren Verläufen sei aber auch bei Omikron hoch.

Problematisch sehen die Experten vor allem die auch im Vergleich zu anderen Ländern hohe Zahl an Ungeimpften in Deutschland. Rund 30 Prozent der Bevölkerung seien nicht vollständig geimpft, machte Wendtner im SMC-Gespräch deutlich. Und die Boosterkampagne habe gerade erst begonnen. Zudem wirkten manche der extra für Corona entwickelten Medikamente bei einer Omikron-Erkrankung nicht mehr.

Wahrscheinlich sei man nach einer Omikron-Infektion auch nicht gegen Varianten wie Delta geschützt, sagte Drosten. Zudem heiße all das nicht, dass nie wieder andere Varianten kämen. Er gehe auch von einem Anstieg der Inzidenz zum nächsten Winter hin aus. «Das Virus ist weiter in Bewegung.»


Bildnachweis: © Jens Büttner/dpa
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